von Homer Canalli » Di 3. Apr 2012, 16:47
Canalli trat an die Reling, während das Beiboot zu Wasser gelassen wurde, und blieb dort mit gelegentlichen Winken stehen, während Lopez die Passagiere zum Strand fuhr. Seine Krankenschwester, die mit einem Sonnenhut kam und darauf bestand, dass er ihn gegen die brennenden Sonnenschein auch aufsetzte, winkte er ungeduldig fort - was sie sich auch gefallen geließ, nachdem Canalli ihre Anweisung befolgt hatte - und konzentrierte sich stattdessen auf das Bild, das sich ihm an Land bot.
Besonders idyllisch wirkte dieses Atempo wahrlich nicht auf ihn; ein Kaff am Ende der Welt, das für einen weitgereisten, hoch gebildeten Herrn wie ihn nichts bot. Im Prinzip war es der perfekte Ort für Williams' Expedition: rückständig, vermutlich voller Aberglauben und Märchen, die nur ein Narr oder Kind glauben würde. Mit Lucas Hilfe, den Steinen, die Senor Santiago mit seinen Leuten vor ihre Füße rollen lassen würde, und nicht zu vergessen Trägern wie seinen beiden kurzfristigen Passagieren würde Williams schneller aufgeben und gedemütigt in den Schoß der Universität zurückkehren, um dort seine Sachen zu packen und in die Bedeutungslosigkeit zu diffundieren, als Canalli brauchen würde, um den sich anbahnende Sonnenbrand wieder loszuwerden!
Für einen Moment schob sich ihm die Erinnerung an einen lauen Sommerabend vor vielen Jahren in Canallis Kopf, als er in dem kleinen Örtchen Apariencia noch als unbedeutendes Mitglied eines Forschungsteams einen Silberteller verpackte, den Taucher wenige Tage zuvor aus einem Wrack geborgen hatte. Selbst ohne das Fachwissen, das ihm heute selbstverständlich war, hatte er bemerkt, wie wenig die Symbole und Figuren auf dem Teller zur Symbolik der Inka gehörten; insbesondere die vier Frauengestalten hatten wenig mit Mama Killa, der "Mutter Mond" der Inka, gemein. Andererseits war das über 40 Jahre her, und der Rausch des anschließenden Festes, das erst vom Brandgeruch in den Morgenstunden gestört wurde, hatte seinen Erinnerungen auch womöglich einen Streich gespielt. Er hatte sich ja sogar kurzfristig eingebildet, die Brandstifter gesehen zu haben, aber da mindestens eine der Gestalten seiner charmanten jungen Begleitung jenes Abends geglichen hatte - und welche Frau würde schon derart mit dem Feuer spielen? - hatte er niemandem je davon erzählt.
Canalli schüttelte den Kopf, um die unwillkommenen Gedanken zu vertreiben. Er musste sich damals geirrt haben. Vielleicht gehörte der Teller zu einer unbekannteren, nun für immer verloren gegangenen Seitenlinie der Inka? Wusste er es? Nein, wusste er nicht. Was er hingegen wusste, war, dass ein Medienrummel um eine angebliche wissenschaftliche Sensation, die nur auf den Phantastereien einiger Abenteurer basierte, weder der Universität noch der Wissenschaft noch ihm selbst nutzen wurde. Und deshalb würde es ihn nicht geben - wenn überhaupt dann nur ein kurzes Aufflackern, das mit der raschen und totalen wissenschaftlichen Vernichtung dieser Amateure enden würde, die Luca auffliegen ließ.
Ohne darauf zu warten, dass Lopez mit dem Beiboot zur Paloma Nera zurückkam, wandte Canalli sich ab und watschelte zurück in den Salon. Zeit für einen weiteren Eistee und einige Streicheleinheiten. Castor und Pollux fühlten sich ganz bestimmt schon vernachlässigt.
tbc: wenn wieder gebraucht