Außentreppe

[Narracion]

Auf der der Opferstätte zugewandten Seite führt eine Treppe die vierstufige Pyramide hinauf. Die Stufen sind ausgetreten, weisen aber keine Inschriften auf. Alle acht Stufen befindet sich eine Öffnung im Boden, die als Fackelhalterung während der Zeremonien und Rituale genutzt wird. Im Stein können mit entsprechender mikroskopischer Ausrüstung winzige Spuren von Ruß und Asche gefunden werden.

Am Ende der Treppe findet sich hinter einem kleinen Vorplatz der Eingang in den Altarraum in der Pyramidenspitze. In den Boden des Vorplatzes ist eine kreisförmige Rinne eingelassen, die je nach Ritual mit entflammbaren Öl, Wasser usw. gefüllt werden kann. Die Außenwände des Altarraums sind mit Schriftzeichen übersät, die den Text eines alten Ritualgesangs zu Ehren der vier Selenen, die Erzählung von der Gründung des Rad des Mondes, ein warnendes Märchen über die Macht der Furien und ihrer Schatten sowie den Text eines Schutzgebets enthalten. Alle Texte sind wirr durcheinander geschrieben und können nur durch eine bestimmte Lesart entziffert werden, die durch die in den Text eingefügten Schutzrunen geleitet wird.

Die steinerne Tür zum Altarraum hat auf gut anderthalb Meter Höhe eine runde Vertiefung, in die ein Amulett als Türöffner eingesetzt werden kann, das von der Priesterin am Rad des Mondes getragen wird. Ginge dieses Amulett verloren, kann der Raum von außen nur geöffnet werden, in dem die Tür zerstört oder durch die elementaren Kräfte der Gläubigen geöffnet wird.

[Narracion]

[Allegra Dominguez]

Die ersten Boten der Nachmittagsgewitter kündigten sich bereits mit drückender Hitze an, als Allegra es sich mit einem Becher Kaffee oben auf der Treppe bequem machte, den Becher neben sich abstellte und Papier und Tabakbeutel zückte. Nach einer Nacht auf dem Dach des Haus des zunehmenden Mondes hatte sie sich den Luxus des Ausschlafens gegönnt, und während sie nun ihre erste Zigarette des Tages rollte, warf sie einen Blick über die Anlage zu ihren Füßen und dem dahinter liegenden Dschungel. Etwas stimmte nicht. Sie wusste nicht was, aber etwas war falsch an diesem Tag. Vielleicht war da etwas in ihren Träumen gewesen, aber Allegra erinnerte sich wie üblich kaum daran, was sie im Schlaf gesehen hatte. Dennoch - sie fühlte eine eigenartige Unruhe, die nichts mit der üblichen Vorfreude auf das bevorstehende Ritual und die Ankunft der anderen Priesterinnen und Gläubigen zu tun hatte.
Allegra befeuchtete das Papierchen, damit es anständig pappte, und drehte die Zigarette anschließend gedankenverloren zwischen ihren Fingern. Vielleicht sollte sie nachher die Schutzkreise überprüfen. Nur für alle Fälle. Das beruhigte sie in der Regel.

[NSC]

Javier Santos
Es war schon Stunden her, das Javier die Augen aufgeschlagen und mehr oder viel eher weniger ausgeschlafen den neuen Tag begrüßt hatte. Die Visionen waren undeutlich gewesen, oder zumindest verstand er sie im Augenblick nicht, doch sie hatten dafür gesorgt dass der Selenist sich an diesem Tag tugendhaft als Frühaufsteher zeigte.
Als er aus dem näheren Dschungel am Rad des Mondes trat, brannten Javiers Augen leicht. Er hatte eigentlich nichts Wichtiges getan gehabt, doch die Bewegung erfüllte den Zweck den der Wächter ansonsten mit Kaffee hätte kompensieren müssen. Zumindest im Augenblick noch, was sich vermutlich ändern würde, sobald er sich erst mal ein paar Minuten gesetzt hatte.
Als er die Außentreppe erreicht hatte, misslang es Javier ein sehr ausgiebiges Gähnen zu unterdrücken. Während er in schnellen Schritten die Treppen heraufsprang, rieb der Tempelwächter sich einen Augenblick die Augen. Die Routine von zehn Jahren Tempelarbeit bewahrte ihn davor aus dem Tritt zu geraten. Er hätte den Weg wohl auch im Schlaf gefunden, auch wenn er das Schlafwandeln aus ersichtlichen Gründen lieber sein ließ…
Als er bei Allegra ankam, sparte sich Javier jeden Kommentar bezüglich ihres Lasters. Solange sie nicht die Luft innerhalb des Tempels verpestete, nahm er die Sache mit dem Tabak mehr oder weniger stoisch hin. Er bremste lediglich seine Schritte, bis er schließlich auf ihrer Höhe zum stehen kam und sich, mit einem Seufzen, ein Stück von ihr entfernt, niedersinken ließ und sie grüßte. „Guten Morgen, Allegra.“

[Allegra Dominguez]

Sie entdeckte Javier früh, und während er die Treppenstufen in Angriff nahm, entzündete sie sich leicht seufzend die Zigarette. Auf quasi nüchternen Magen wollte sie sich keine Strafpredigt anhören müssen, aber hier draußen hatte sie außer vielleicht einem missbilligenden Blick ja nicht viel zu befürchten.
"Guten Morgen, Javier", erwiderte sie lächelnd und blies ihren Rauch demonstrativ in die Richtung, in der Javier nicht saß, um zu verhindern, dass der träge Wind den Qualm am Ende noch ins Gesicht des Tempelwärters trug. Als sie sich wieder umwandte, verengten sich ihre Augen, und sie musterte ihn nachdenklich. "Du siehst ziemlich müde aus", sagte sie schließlich. Seine Körperhaltung, die geröteten Augen, sein Blick... Sie war zu lange in ihrem Geschäft, um nicht ein ganz übles Gefühl bei der Sache zu bekommen.

[NSC]

Javier Santos
Es war nicht nur so, dass Allegra kein Interesse daran hatte sich eine Strafpredigt anzuhören: Javier hatte auch keinerlei Interesse daran eine eben solche zu halten. Und das, obwohl er bei Bedarf auf ein quasi unerschöpfliches Reservoir an Anmerkungen, Belehrungen, Seitenhieben und bloßer Sturheit zurückgreifen konnte.
Das auffällige Wegpusten des stinkenden Qualms der Priesterin, ließ denn Tempelwächter kurz belustigt schnauben, einen Kommentar rang er sich allerdings nicht ab.
„Ja“, erwiderte er schließlich auf ihre Feststellung. „Unruhige Träume. Wenig Schlaf.“ Javier lächelte müde. „Aber zumindest das ist nichts, was ein Kaffee und Bewegung nicht in den Griff bekommen würden.“ Er zögerte einen Moment, sein Blick glitt ein wenig geistesabwesend auf den Dschungel vor ihnen, dann wandte er sich mit einem leichten Lächeln auf den Lippen wieder der Priesterin zu. „Du siehst hingegen sehr ausgeschlafen aus.“

[Allegra Dominguez]

Alarmiert drückte Allegra ihren Rücken durch. Unruhige Träume klangen nicht gerade verlockend. Hatte sie es nicht geahnt? Noch ehe sie ihren ersten Zug genommen hatte, war der Tag schon verdorben gewesen.
"Es war eine lange Nacht", erklärte sie mit schiefem Grinsen. Sie war weit davon entfernt, sich darüber zu beschweren; sie mochte die eigenartige Stille auf dem Dach der Sternwarte, sie mochte es auch, die Wege der Sterne und Planeten aufzuzeichnen, und sie genoss jedes Mal die kühle Nachtluft, den Glanz der Sterne und das in diesen Phasen immer intensiver werdende Licht des Mondes, mit dem die Selenen ihr Näherkommen verkündeten.
Allegra befreuchtete sich die Lippen. "Erinnerst du dich an deine Träume?", fragte sie ernsthaft. "Hast du erkannt, ob es wirklich nur Träume waren?"

[NSC]

Javier Santos
Bei Allegras Worten richtete sich Javiers Blick wieder ein wenig ziellos in die Ferne, auch wenn es nun eher der Himmel war, den er unbewusst anstarrte. Er hatte diese Träume wohl schon länger als er seinen Namen schreiben konnte… Die Ausprägung seiner Gabe in diesem Bereich war auch für keinen der im Tempel lebenden ein Geheimnis, aber einfach war es mit Visionen trotzdem selten.
„Heute Nacht“, Javier dachte einen Moment nach und versuchte seine Gedanken zu ordnen, nun wo er sie erstmals laut aussprach. „Es waren Bilder. Eindrücke. Ich weiß sie noch nicht zuzuordnen.“ Er schnaufte leicht frustriert. „Ich weiß sie nicht einmal auszudrücken. Es war zu chaotisch.“ Wieder ein Moment der Besinnung, dann setzte der Tempelwächter seine kurze Ausführung fort. „Andererseits… könnte natürlich auch das Chaos selbst die Aussage gewesen sein. Ein schneller Wandel, wenn du so willst.“ Javier zuckte mit den Schultern und blickte wieder zu Allegra. „Ich hoffe, ich werde die Botschaft verstehen wenn ich muss. Aber um zu deiner anfänglichen Frage zurück zu kommen: Nein, ich glaube nicht, dass es nur Träume waren. Hast du auch etwas gespürt?“

[Allegra Dominguez]

Allegra zuckte mit den Achseln, während sie besorgt einen tiefen Seufzer ausstieß. "Ich bin nicht sicher. Es ist nichts Konkretes, nichts wirklich Greifbares." Nervös zog sie an ihrer Zigarette und inhalierte tief. "Aber du weißt, dass ich in Visionen nicht sonderlich begabt bin. Ich bin mir nur in einem sicher: Etwas stimmt nicht." Und was Javier erzählte, trug wirklich nicht zu ihrer Beruhigung bei. Chaos, ein Wandel - es musste sich nichts wandeln. Alles war gut so, wie es war. Und andererseits war doch ständig alles in Wandel begriffen; das gehörte zum Leben. Doch davor würden die Selenen sie nicht warnen wollen; warum auch? Dieser Wandel war allgegenwärtig und wichtig.
Sie war sich auch sicher, die Beunruhigung einer anderen Priesterin zu spüren. Obwohl sie nicht erkennen konnte, welche es war, spürte sie zumindest, dass sie auf dem Weg war. "Ich würde dir anbieten, dir bei der Erforschung deiner Visionen zu helfen", Allegra lächelte schief, "aber ich glaube, wir bekommen bald Besuch von jemandem, der besser darin ist." Und hätten die Selenen Javier nicht eine klare Warnung geschickt, wenn es etwas Dringendes gewesen wäre?
"Apropos Besuch: Liegen wir gut im Zeitplan der Vorbereitungen?"

[NSC]

Javier Santos
Zumindest auf Allegras letzte Frage konnte Javier eine klare Antwort geben und so nutzte er die Gelegenheit umgehend aus. „Ja“, der Tempelwächter nickte zuversichtlich. „Wir werden die Vorbereitungen pünktlich abgeschlossen haben.“ Die Aussicht, bei der Ankunft weiterer Selenisten, jemanden zu finden mit dem er die großen Fragezeichen effektiver vertreiben konnte, schien Javiers müden Kopf wieder ein wenig zu beleben. Nicht, dass er für seine Arbeit zusätzliche Motivation benötigt hätte, der Tempeldienst war für ihn ja eher Berufung als Pflicht.
„Und vielleicht werden wir dann tatsächlich schon bald mehr wissen.“ Er zuckte mit der Schulter, auch wenn das Unverständnis für seine Träume ihn doch mehr beschäftigte, als diese beifällige Geste es würdigen konnte. Javier hatte durchaus Vertrauen, dass die Selenen ihnen rechtzeitig deutliche Warnungen zukommen lassen würden, wenn dies erforderlich war. Nichtsdestotrotz… am ehesten ließ sich das Gefühl des Tempelwächters vielleicht damit vergleichen, als habe er eine Melodie im Kopf, aber käme einfach nicht auf das Lied. Nur dass das Lied ihre Zukunft war und die Melodie ein wirres Gemüse aus Bildern und Eindrücken.