Wasserfall

[Scott Mitchell]

Auch Scott schaute auf, als die anderen an die Kochstelle traten. Oder eher gesagt: Als Viktoria das fertige Essen erwähnte.
Es war anstrengend gewesen, die Gruppe heute auf dem Weg zusammen zu halten. Er war es gewohnt alleine unterwegs zu sein oder ein zwei Begleiter zu haben, aber gleich einen ganzen Trupp? So wie manche getrödelt haben, konnte er plötzlich verstehen, warum damals in der Schule die Lehrer nur so selten Ausflüge angeboten haben. Aber sie waren ja beim Wegziel angekommen.
Nur.. Scott hielt nur kurz die Nadel über das Feuer, ehe er kurzentschlossen die Blase an seiner Hand zerstach und die Eiterflüssigkeit herausquetschte. Rudern schien doch andere Fingerpartien zu beanspruchen als Klettern. Aber bis morgen sollte seine Hand wieder einsatzbereit sein.
Scott steckte die Nadel wieder in seine Notfalltasche, stemmte sich hoch und ging zu den anderen. "Das Boot schwimmt wieder?"

[Elvis Strindberg]

"Suizidversuch, pah." Elvis warf Teddy einen tadelnden Blick zu, ehe er breit lachte. Wenn sein Schützling sowas schon für versuchten Selbstmord hielt, was war dann diese gesamte Tour für ihn, ein Himmelfahrtskommando? "Wenn du mal groß bist, Batata, wird dir der Unterschied dazu noch auffallen." Er zwinkerte Teddy zu, ehe er sein im Gras liegendes T-Shirt hochhob und sich damit trockenzurubbeln begann. Dabei fiel sein Blick auf Alejandro. Hatte der Junge etwa wirklich faul dagelegen, während seine Kollegen sich mit dem Boot abgerackert und es ins Wasser geschleppt hatten? Was war denn das bitte schön für eine Einstellung?
Gut, Alejandro war natürlich keiner der Träger, sondern gehörte zu den Wissenschaftlern, aber hatte das Elvis, der sich, auch ohne je einen Fuß während der Vorlesungen in einen Hörsaal gesetzt zu haben, mühelos ebenfalls zu den Wissenschaftlern zählte, nur halt ohne Diplom oder Ausweis oder sowas, also: hatte das ihn etwa je davon abgehalten mitanzupacken?
Er näherte sich dem im Gras liegenden Alejandro, um ihm den Kopf zu waschen, als der auftauchende Scott ihn auf eine bessere Idee brachte. "Joah, schwimmt", nickte er und ließ sein nasses T-Shirt wieder fallen, während er zu Alejandros Füßen stehen blieb. Wie schwer oder kräftig der wohl war? Also, wenn Scott mitanpackte und der nicht allzu sehr zappelte.. schade, den Felsen hoch bis zum Wasserfall würde es kaum gehen, aber das Ufer war ja nun nicht so schrecklich weit weg. "Ich glaub aber, das ist noch ein schlaffer Sack, dem eine Probeschwimmen gut täte..." Vielsagend und auffordernd blickte er zu Scott.

[Ray Williams]

Gemeinsam mit Sébastien und gefolgt von Miguel hatte Ray schon ein bisschen Abstand zum Rest der Truppe nahe des Ufers gebracht, als ihm ein unerwarteter Geruch entgegenkam. Nanu, war das Essen denn schon fertig? Er nickte Sébastien etwas abwesend zu, als dieser sich zum Telefonieren verzog - gut, wenn die Verbindung wieder stand, konnte er gleich vielleicht auch ein paar Telefonate führen, ehe die Technik wieder versagte - und grinste, als er Viktoria an der Kochstelle entdeckte. Und da hatte er gedacht, sie würde noch über der vollständigen Aufstellung ihres Inventars hocken!
"Wie sich herausstellte", antwortete er launig, "lagern wir am Fuße eines Sprungturms. Außerdem gibt's gute Nachrichten: Das zweite Boot ist geflickt; wir können also morgen unseren Weg wie geplant auf der Laete fortsetzen." Sobald sie alles den Wasserfall hinauf geschleppt hatten, aber das würde schon noch funktionieren; sie hatten ja genug gesunde Hände und Füße und Rücken.
Gut gelaunt blickte er auf den Kochtopf. "Sie hatten Angst vor meinen Kochkünsten, was, Vik?", erkundigte er sich grinsend.

[Sebastien Lemaitre]

Bleich und sichtlich erschüttert trat Sébastien fünf Minuten später wieder aus seinem Zelt und steuerte direkt den Professor an, ohne gross nach links oder rechts zu sehen. Ohne Vorgeplänkel kam er direkt zur Sache. "Meine Eltern... sie... sie hatten einen Unfall. Irgendein Irrer ist nachts in ihren Wagen gerast, sie... sie..." Er räusperte sich und versuchte sich zu fassen. "Mein Vater liegt im Koma im Krankenhaus, und meine Mutter konnte erst gestern die Intensivstation verlassen. Ich muss zurück nach Paris, es tut mir furchtbar leid, Professor, aber ich muss nach Hause." Er zögerte kurz. "Und zwar sofort."

Der Weg nach Paris von hier aus war so furchtbar lang, dass jeder Tag, jede Stunde Verzögerung bedeuten konnte, dass er seinen Vater nicht mehr lebend sah. Auch wenn er seiner Schwester, die es nach zwei Tagen endlich geschafft hatte ihn zu erreichen, eingeschärft hatte, auf keinen Fall irgendwelche Maschinen abzuschalten, bevor er in Paris war. Auch wenn das ein paar Tage dauern würde. Aber wenn er jetzt gleich aufbrach, konnte er morgen im Laufe des Tages in San Palabra ankommen, falls er in Atempo sofort ein Boot bekam. Er sah Miguel an, der einzige, dem er zutraute, dass er ihn durch die Nacht nach Atempo zurück bringen konnte. "Wärst du in der Lage, mich heute Nacht noch nach Atempo zu führen?" Williams warf er einen entschuldigen Blick zu. "Von dort aus komme ich allein klar, und er ist dann sicher schnell wieder bei Ihnen."

[Miguel Bolivar]

Miguel hatte bei einer der Feuerstellen direkt daneben gesessen und war gerade dabei, einen Fisch auszunehmen, als Sébastien aus dem Zelt kam. Es war sofort klar, dass irgendwas passiert sein musste, entsprechend grosse Ohren machte er, um zu hören, was der Franzose dem Professor sagte. Bis der ihn dann gleich direkt ansprach.

"Heute Nacht noch?" Nachts im Dschungel rumzulaufen war nicht ungefährlich, aber angesichts der Ereignisse hatte Miguel natürlich Verständnis für den Wunsch. Und hey, einer weniger, der die Wegmarke entdecken konnte... Das Risiko war es wohl wert. Miguel sah Williams an. "Wenn es für Sie in Ordnung ist, kann ich das machen. Ich wäre dann morgen Abend wieder bei Ihnen, ab Atempo nehme ich einfach mein Boot, dann habe ich Sie relativ rasch wieder eingeholt." Er zögerte. "Noch schneller und sicherer wäre es, wenn wir mit einem der Boote nach Atempo fahren könnten, allerdings würde das morgen Ihre Weiterreise verzögern, weil ich sicherlich erst gegen Mittag damit wieder hier sein könnte, vielleicht sogar später."

[Alejandro Cortez]

Sonderaufgaben wurden ihm zwar KEINE zuteil, dafür raffte der junge Cortez aber natürlich sofort, an wen das mit dem Probeschwimmen adressiert war. Immerhin tropfte ihm Elvis gerade die Beine voll, was darauf schließen ließ, dass er ihm inzwischen wieder ziemlich nahe stand. Und zwar im Sinne von ´auf die Pelle gerückt war´, nicht in punkto Verständnisebene.
„Hau ab.“, sagte er, wenig angetan von dem Gedanken, womöglich tatsächlich in die subtil angedrohte Lage zu geraten und sprang auf. „Ich…“

Bevor Alejandro seinen Unmut weiter ausführen konnte, sah er einen kreidebleichen Sébastien aus dem Zelt kommen und hob fragend die Augenbraue. Da stimmte was nicht, das konnte ein Blinder sehen. Und als er ein paar Schritte näher gekommen war und wenn er die Wortfetzen richtig interpretierte, die er auf dem Weg mitbekommen hatte, dann war hier einiges im Argen.
„Oh Gott, das tut mir leid“, war alles, was er hervorbrachte, dann drückte er die Schulter des Franzosen und nickte langsam, auch wenn IHN niemand gefragt hatte, was Miguels Mitgehen anging. Der Professor hatte doch sicher nichts dagegen, dass die beiden eins der Schlauchboote nahmen, oder? Hier ging es ausnahmsweise mal um etwas Wichtigeres als die Expedition, das war zumindest SEINE Meinung.

[Viktoria Klein]

Viktoria lachte fröhlich auf. "Und Sie wollen den Sprungturm nicht ausprobieren?" Nun, das würde sie auch überraschen. "Ich werde nach dem Essen jedenfalls eine Runde Schwimmen wagen. Wenn Elvis Strindberg nicht von Piranhas gefressen wurde, wird mir das sicherlich auch nicht passieren." Sie könnte sich natürlich zur Sicherheit vorher mit Anti-Brumm-Spray einsprühen.
Grinsend rührte sie im Topf herum. "Die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass sie selbst im Essen landen. Und.. natürlich vertraue ich Ihnen, wenn es ums Essen geht." Zumindest wenn er zehn Meter entfernt davon stand, während es noch nicht auf dem Teller war.
Viktoria wollte gerade mit einer Erklärung ansetzen, als Sebastien von seinem Telefongespräch zurückkam. Der Junge sah gar nicht gut aus. So bleich und.. verängstigt? Konnte das sein?
Wortlos folgte sie der Erzählung des Franzosen und richtete sich langsam auf. Der Franzose war ihr noch nie soo sympathisch gewesen, aber das war ja .. grausam. Viktoria schluckte einen Kloß im Hals herunter und schaute angespannt zum Prof herüber.

[Scott Mitchell]

Scott grinste breit. Alejandro lag wie ein nichtsahnendes Schaf herum. Ein gefundenes Fressen für den Wolf namens Elvis. Und wenn er selbst ins Wasser fallen würde, hätte er im Grunde gar nichts dagegen.
"Können Säcke denn schwimmen?" Wie um sich vorzubereiten, rieb Scott die Hände aneinander. Eine gelungene Abwechslung.
Allerdings hielt er in der Bewegung inne, als er bemerkte, dass Alejandros Bewegungen kein Fluchtversuch war.
Er hob kurz die Augenbrauen und schaute Elvis fragend an, ehe er sich ebenfalls zum Kreis um Sebastien bewegte und ihm kommentarlos zuhörte.

[Elvis Strindberg]

"Zumindest", grinsend ließ Elvis Alejandro mit seiner rüden Antwort entweichen - irgendwann bekam der noch sein Bad, jawohl! - und stellte sich neben Scott, "zumindest kann dieser Sack doch noch eine Spur Leben in sich finden. Was schon ein Wunder ist." Er nickte selbstgefällig, während er stirnrunzelnd den kleinen Auflauf registrierte. Da war was passiert, und wo was passierte, musste Elvis seine Nase reinstecken. Also folgte er gemeinsam mit Scott Alejandro schweigend, zog aber hörbar die Luft ein bei der Nachricht.
"Scheiße, Alter", bekannte er aus reiner Seele. Das waren wirklich so Momente, wo er nicht in der Haut des anderen stecken wollte. Zumindest hatte Sébastien sich den Blick fürs Wichtige bewahrt - es sollte ja auch Typen geben, die sowas unter 'passiert ist passiert und lässt sich nicht mehr ändern' abbuchen und lieber hier weiter mitlaufen würden.

[Ray Williams]

"Ja, ja, Sie wollen es nur nicht essen, schon klar." Vielleicht hätte er ihr an der Universität doch keine Anekdoten aus seiner reichhaltigen Küchengeschichte erzählen sollen. Dabei kochte er äußerst selten Schuhsuppe mit Insekten als Eiweiß-Einlage. Nur, wenn es sonst nichts zu essen gab, und noch hatten sie ja ihre Vorräte.
Zu dumm, dass seine fast zufriedene Feierabendstimmung von Sébastiens Nachricht zerstört wurde. "Das ist ja gar keine Frage", sagte er fest. Natürlich musste Sébastien abreisen; das war schließlich eine Familienangelegenheit! Und Ray hatte sogar einmal eine Expedition verlassen, um rechtzeitig zur Schulaufführung seiner Tochter in der Aula zu sitzen. Das war nichts gegen einen solchen Notfall. Notfall... da fiel ihm doch glatt etwas ein.. "Warten Sie, ich habe da noch eine Visitenkarte. Eine Wasserfluggesellschaft in San Palabra, die auch Notfallflüge nimmt - vielleicht kürzt das Ihre Reise etwas ab." Sein erster Impuls war ein Griff in seine Gesäßtasche, aber da hatte er seine Brieftasche ja nicht auf solchen Reisen. Die Karte fand sich dann allerdings in seinem Gepäck, und da sie von denen, die sie in San Palabra verteilt hatten, gleich laminiert worden war, hatte sie auch die Wasserung gut überstanden. Ein Glück, dass er sie eingesteckt hatte, nur für den Fall, dass ihnen selbst etwas passieren könnte! "Wenn Ihr Handy gerade Empfang hat, rufen Sie es an und bestellen Sie es zum Handelsposten. Und natürlich können Sie eines der Boote nehmen, Miguel." Ja, das warf sie zurück, aber andererseits.. sie hatten noch drei Träger beziehungsweise Ruderer, und vielleicht konnten sie einen Teil der Ausrüstung hier zwischenlagern. Wer sollte das mitten im Dschungel schon mitnehmen, wenn sie es vor Tieren schützten?
"Ich wünsche Ihnen alles Gute, Sébastien, und Ihren Eltern auch. Lassen Sie mich es wissen, sobald Sie Neuigkeiten haben." Falls dann die Verbindung funktionierte. "Sie", wandte er sich an Miguel, "werden uns ja sicher finden, wenn Sie den Fluss hinauffahren. Ich gebe Ihnen noch eine Nachricht für Dr. Bueno mit - wenn Sie eh in Atempo sind... Denken Sie, Sie werden bei Ihrer Rückkehr das Boot allein den Wasserfall hinauf bekommen?"