Wasserfall

[Elvis Strindberg]

Pah, also Alejandro war doch echt ein Weichei! Und für wie alt hielt der ihn? Für fünf? Er hätte den Knaben doch noch ins Wasser werfen sollen, vielleicht hätte der dann mal seine Predigerfähigkeiten stecken lassen. Und doch gab er ihm die einzige Antwort, die er verdient hatte: Elvis lachte Alejandro breit ins Gesicht bzw. in den Rücken. "Lass dich nicht auffressen!" Ehrlich, nicht vom Wasserfall springen wollen, aber jetzt baden gehen wollen. Vielleicht hatte er ja einen zu kleinen Schwanz und deshalb Komplexe. Oder ein peiniches Tattoo auf der Brust.
Grinsend versorgte Elvis seinen Mund mit einer neuen Portion Nahrung und wandte sich kauend lieber wieder Teddy und Scott zu. "Genau", erkundigte er sich etwas unscharf, "welfe Raufkadse?" Gut, er betonte die Frage etwas anders als Teddy, und es lag auch mehr Fröhlichkeit in seiner Stimme. Elvis schluckte. "Ich kenn ne Menge Geschichten über Raubkatzen. Erzähl mal deine", forderte er Scott auf. Man lernte ja nie aus. Und Teddy konnte sich noch ein paar weise Tipps gebrauchen.

[Scott Mitchell]

Scott legte seine Schüssel auf den Boden und nickte leicht.
"Es war vor ein paar Wochen, ich arbeitete bei Ruby und half ihr die Leute zu bedienen, während sie in der Küche war. Als alle bestens versorgt waren, machte ich eine kleine Pause, schnappt mir ein Glas Limonade, setzte mich in eine Ecke und wollte gerade die Augen für ein paar Sekündchen hörten, als die Stimmen am Nachbartisch langsam lauter wurden. Drei junge Männer saßen dort, sie waren augenscheinlich längere Zeit nicht mehr in der Zivilisation gewesen. Einer brüllte den anderen an: Wir müssen zurück, wir müssen wenigstens die Gewissheit haben, dass er tot ist. Der andere sprach, dass sie zur Polizei müssten. Und der dritte wollte einfach nur noch nach Hause."
Scott verlagerte ein wenig sein Gewicht und nahm einen Schluck von seinem Wasser. "Spätestens da hatten sie meine volle Aufmerksamkeit. Tot? Das klang fast so als ob sie jemanden umgebracht hätten. Ich habe mich nicht eingemischt und nachgefragt, als der andere gesagt hat, dass er nicht mehr in den Dschungel geht, solange nicht die Raubkatze gefunden wird. Es stellte sich heraus, dass sie drei im Dscungel schwimmen waren, der vierte, der angeblich tote, blieb bei den Sachen zurück. Als sie wiederkamen war er weg, aber es sollen wohl überall Spuren von mindestens einer Raubkatze gesehen worden seien." Scott zuckte mit den Schultern. "Das ist die Geschichte von der Raubkatze."

[Teddy Wilcox]

Tipps?! Das sollten Tipps sein?! Wenn man kleinen Kindern beim Camping Geschichten über den menschenfressenden Bigfoot erzählte waren das auch keine wertvollen 'Tipps' sondern widerliche und hundsgemeine Horrorgeschichten! Eins war jedenfalls sicher, zum Pinkeln würde Teddy heute Nacht nicht das Zelt verlassen und wenn ihm die Blase platzte!
"Hier... hier gibt's Raubkatzen die Menschen töten?", kam's ein wenig arg hoch für einen, zumindest auf dem Papier, durch und durch männlichen Menschen. Als hätten die Piranhas und die diversen Insekten nicht gereicht. Apropos, wo war eigentlich seine Anti-Brumm Dose? Irgendwie war das Ding schon den ganzen Tag unauffindbar.

[Elvis Strindberg]

Elvis nickte anerkennend. Für eine Räuberpistole von menschenfressenden Raubkatzen war die nicht übel gewesen. Ein paar blutbespritzte Details am Fundort noch und vielleicht ein gut nachgemachte Raubtiergebrüll zur akustischen Ausgestaltung hätten noch gepasst, aber das war doch schon sehr lehrreich gewesen.
Er wandte den Kopf zu Teddy und hob die Brauen. Himmel, der wirkte ja verschreckt wie ein kleiner Junge bei den Pfadfindern, dem man ein paar harmlose Gruselgeschichten erzählt hatte! "In jedem Dschungel gibt es die. Aber in den seltensten Fällen passiert da wirklich was." Er zuckte mit den Achseln. "Muss man wirklich schon viel Pech haben. Und man muss halt unvorsichtig sein. Allein im Wald bleiben.. das ist schon dämlich."
Also dann, wenn man sich ein ganzes Stück weit weg entfernte.

[Scott Mitchell]

Scott zuckte mit den Schultern. "Sie haben keine Spuren von ihm gefunden. Am Tatort."
Ach, aber so richtig verängstigen wollte er ihn nun auch nicht. Nur ein bißchen gruseln. Wie damals als er sich mit seinen Freunden beim Zelten immer Gruselgeschichten ausgedacht hatte. Nur, dass man sich niemals erzählen würde, dass alle stundenlang nicht einschlafen konnten.
"Aber keine Sorge. Einige Tage später, die Jungs waren schon abgereist, hörte ich wie jemand die Geschichte erzählte und hinzufügte, dass der vierte einen Anruf von seiner Frau bekommen hatte, die just an dem Tag ihr Kind gebar. Er hatte wohl einen Panikanfall und rannte Hals über Kopf nach Atempo zurück."
Scott nahm noch einen weiteren Schluck aus seiner Flasche. "Klingt alles ein wenig zusammengereimt, aber was solls nicht alles geben."

[Teddy Wilcox]

Also... er war zwar manchmal ein bisschen doof, aber SO doof dann auch wieder nicht. Spontan zur schwangeren Frau, ja klar. Der Kerl war gefressen worden! So sah's nämlich aus! Und Scott sagte das jetzt nur, um ihm nicht Angst zu machen. Beziehungsweise nicht noch mehr Angst, weil Teddy schon recht nahe am Hosen-voll-haben stand und vermutlich keine weiteren Gruselgeschichten für den Abend vertrug.
"Aber... wenn diese Katzen, also, wenn man sich nicht zu weit allein in den Dschungel", er begann etwas vage in Richtung Dschungel zu gestikulieren, "sollte man das nicht Alejandro sagen? Der ist da jetzt ganz allein reingestiefelt, wer weiß ob der nicht so eine... naja?" Nachher wurde der auch gefressen.

[Elvis Strindberg]

Elvis lachte laut und schlug sich vor Freude auf den Oberschenkel. Ja, so war das eben: Erst mal Panik kriegen und den Kopf ausschalten, und dann löste sich doch alles in Wohlgefallen auf. Aber auf die einfachste Lösung kamen die Menschen ja immer erst zuletzt. So wie bei den Maya und Inka. Wie logisch war das denn, dass die Menschen auf der einen Seite des Meeres Pyramiden bauten und Sterne deuteten, während sie anderswo noch jedes Gebäude zum Einsturz brachten, hm? Reiner Zufall, klar. Keinesfall ein Beweis für einen erneuten Besuch derer, die schon bei den Pyramiden in Ägypten und Mesopotamien geholfen hatten. Dass die Menschen in der unangeleiteten Zeit alles wieder kaputt bekommen hatten, war doch wohl der beste Beweis, dass die Anleitungen nicht von dieser Welt waren. Hätten die paranoiden Amis ihre Besucher in Area 51 nicht vertrieben, würden sie heute auch wieder Pyramiden bauen!
"Quatsch, der ist doch nur zum Fluss", beruhigte er Teddy und wischte sich ein Lachtränchen aus dem Augenwinkel. "Da fressen ihn höchstens die Krokodile." Raubkatzen, also ehrlich!

[Scott Mitchell]

"Keine Sorge, wenn hier Raubkatzen wären, dann hätten wir das schon gemerkt." Scott stützte sich mit seinen Armen nach hinten ab und schaute in den Blätterwald hoch, um sich dann das nähere Umfeld anzuschauen.
"Wir sind schon so lange da,.. Diese Viecher hinterlassen Spuren. Und an so eine große Gruppe würden sie sich niemals herantrauen."
Scott zuckte mit den Schultern. "Alejandro ist schon groß. Der kann auf sich aufpassen."

[Viktoria Klein]

"Sie haben wahrscheinlich Recht." Victoria lächelte kurz ihrem Prof zu, ehe sie mit ihrem Löffel und einem Stück Brot ihren Teller leer und fast sauber kratzte.
"Oder auch ganz sicher." Bestätigte sie grinsend und legte ihren Teller beiseite.
"Warten Sie einen Augenblick, ich bin gleich wieder da."
Sie eilte schnell zum Unterstand, um den richtigen Rucksack herauszufischen und kam kurze Zeit später mit einer Mappe in der Hand wieder.
Viktoria hockte sich neben den Prof und blätterte die Mappe durch, ehe sie ihm ein Schriftstück herausholte. "Das müsste es sein, oder?"

[Ray Williams]

"Danke." Ray nahm Viktoria die Karte ab, kramte die kleine Taschenlampe aus einer seiner Seitentaschen und warf einen prüfenden Blick darauf, ehe er nickte. "Ja, genau die meinte ich." Er legte den Kopf in den Nacken, sah wieder auf die Karte, drehte diese, erhob sich und ging ein paar Schritte vom Feuer weg. Da war sie, die Schlange. Und das bedeutete, wenn er die Linien übernahm, die seine Frau ihm aufgezeichnet hatte, dass sie - unter der Annahme, dass die Große Hand in einem Umkreis von ein paar Kilometern zu finden war - grob gen Osten oder Nordosten gehen mussten. Zu dumm, dass eine genauere Navigation allein über die Sterne nicht möglich war!

Ray brauchte eine ganze Zeit, um sich mit den Karten und den Sternen zurechtzufinden, und er rief auch Viktoria hinzu, um etwas mit ihr zu fachsimpeln und sicher zu gehen, dass er in seinem Eifer nichts fehlinterpretierte. Auch Luca gesellte sich zu ihnen - bis Ray so herzhaft gähnte, dass er die weitere Arbeit auf den nächsten Tag verschieben wollte.
Dumm nur, dass ihm bei ihrer Rückkehr zum Feuer die Schale mit Alejandros längst kalt gewordenem Essen ins Auge sprang. Dass Alejandro immer noch nicht zurück war, erschien ihm komisch, und so ging er ein paar Schritte in die Richtung, in der sein Student verschwunden war, rief nach ihm, versuchte ihn anzurufen - aber das Netz war mal wieder ausgefallen - lauschte auf eine Antwort, kehrte antwortlos zurück und holte den Rest des Teams notfalls auch aus den Schlafsäcken. Nachdem eine erste Ruf- und Suchaktion im stockfinsteren Dschungel allerdings wenig brachte, entschied Ray schweren Herzens, dass eine längere Suche jetzt wohl eher nutzlos war. "Bei der Dunkelheit finden wir ihn nicht. Suchen wir morgen weiter." Und so machte er sich auf eine unbequeme Nacht gefasst, die er sorgenvoll nahe des hell brennenden Feuers verbrachte, das nicht ausgehen sollte, da es Alejandros einzige Orientierung sein könnte, falls er sich verlaufen hatte. Hoffentlich hatte er sich nur verlaufen! Immer war er, Ray, für ihn verantwortlich!

tbc: nächster Tag