Lager Team Santiago

[NSC]

Luca Canalli

*** Gut, vermutlich war es nur die Akklimatisierung. Warum ein Restrisiko eingehen? Wenn einer der anderen ihm nachgeschlichen war, etwa weil er keine Minute ohne seine wunderbare Gesellschaft verbringen zu können glaubte (wer könnte ihm das verübeln?), hatte der längst bemerkt, dass er telefonierte. Nur - war das denn so ungewöhnlich, wenn Sébastien doch gerade bewiesen hatte, dass sie Netz hatten? Zwischenmenschliche Katastrophen führten schließlich schnell zum Wunsch, eigene zwischenmenschliche Kontakte aufzufrischen.

"Nein, Maggie", fuhr er eine geringfügige Spur lauter fort, "mir geht's soweit gut. Morgen fahren wir wieder mit dem Boot, da hole ich mir auch keine neuen Blasen, mach dir da mal keine Sorgen um meine Füße. Ich weiß aber nicht, wann ich mich wieder melden kann - die Verbindung hier reißt oft einfach ab."

Wie gelangweilt stieß er sich von dem Baumstamm ab, wechselte die Hand, die das Telefon hielt, drehte sich halb, sodass er einmal suchend seine Blicke über das Lager gleiten lassen konnte, und lehnte sich dann, den Rücken dem Dschungel zugewandt, mit der anderen Hand an den Baum. Wenn ihm eine Gefahr drohte, dann schließlich aus dem Lager und nicht aus dem Dschungel! ***

[Santiago]

*** "Begnadete schauspielerische Leistung", knurrte Santiago, der das ganze als Mischung aus 'ich werde vielleicht beobachtet/ausgehorcht' und 'Nein, das wars, und ich weiß wie immer nicht wann ich mich wieder melde' aufnahm. Weitere Späne segelten zu Boden.
Ein Grillenorchester gab sein Zirpkonzert. In der mittleren Ferne knackte Holz, stimmte in das Raunen des Lagerfeuers ein.
"Gut. Lass' dich nicht erwischen." Und achte auf die Schatten, hätte er beinahe noch hinzugefügt, ehe er ohne weiteres Zögern die Verbindung beendete, sich des Ohrsteckers entledigte, und ihn mitsamt Kabel wieder im Kragen seines weit aufgeknöpften Hemdes verstaute, gefolgt von einem Blick auf die satellitengestützte Uhrzeitanzeige des Telefondisplays, die er routiniert mit seiner Armbanduhr abglich, nur um festzustellen dass das Stück noch immer auf die Sekunde genau ging. ***

[Yane Alboni]

Williams, den sie Santiago nannten, beendete das Gespräch und Yane musste einsehen, dass sie überhaupt nichts verstanden hatte. Seine Stimme hatte auf annähernd der gleichen Frequenz geschwungen, auf der der Dschungel um sie herum vibrierte. Lediglich die Gesten hatte sie mitbekommen, konnte Schlussfolgerungen aus seinem Verhalten ziehen. Er schien häufiger zu telefonieren, sonst hätte er keinen Ohrstecker gebraucht. War er jemandem Rechenschaft schuldig? Wenn er Forscher war gab es einen Financier. Aber es könnte auch sein, dass ihm jemand Rechenschaft schuldete. Wer könnte das sein? Ihr Gefühl sagte ihr, dass er niemandem Bericht erstattete. Es war logischer anzunehmen, dass er einem Geldgeber regelmäßig einen Status gab, aber sie glaubte nicht daran. Er hieß nicht Williams, er war kein Forscher. Oder zumindest nicht deswegen hier. Genauso wenig glaubte sie, dass in den nächsten Stunden etwas passieren würde. Er hatte die anderen beiden fortgeschickt, als sie dazu gekommen war, hatte sie nur noch mitbekommen, dass zwei fehlten, gesehen hatte sie sie nicht, doch sie glaubte, dass mit ihrer Rückkehr auch etwas aufschlussreicheres geschehen würde als Santiago, der nicht Williams hieß, dabei zu zu sehen, wie er ein Stück Holz malträtierte.

Und es gab wichtigeres zu tun.

Sie musste May Comina und Allegra endlich mitteilen, was hier vor sich ging. Sor Antonina hatte es ihr beigebracht, doch sie war sich nicht sicher, ob sie es hier, im Dschungel, wo die Gefahr bestand entdeckt oder gefressen zu werden, hinbekam. Sie brauchte einen Ort, an dem die Gefahr runter zu fallen minimiert war, also suchte sie eine Senke in der Erde. Doch von ihrem Baum aus konnte sie in der nun einsetzenden Dunkelheit nichts erkennen. Als erstes musste sie also runter.

Einem Gefühl folgend ging sie etwa parallel zu der Richtung, in die die anderen beiden verschwunden waren. Wenn sie etwas seitlich davon einen geeigneten Ort fand, würden sie bei ihrer Rückkehr hoffentlich genug Lärm machen um Yane zu wecken und dann konnte sie beobachten, was sie zu berichten hatten. Der Fluss, der Weg den die beiden genommen hatten, ihr Versteck - etwas entfernt vom Lager Santiagos in einem umgekippten, ausgehöhlten Baum, der von einem dicken Farn verborgen war. Im weiteren Umkreis verteilte sie trockene Äste, die laut zerbrechen würden, wenn man drauf stieg oder sie aus der Klemmung zwischen Steinen und Bäumen mit dem Schienbein knickte. Nachdem Yane die größten Viecher aus dem Baum geholt hatte legte sie sich hinein und schloss die Augen. Nach wenigen Momenten ging ihre Atmung tief, ruhig und gleichmäßig.

Sor Antonina hatte gesagt, sie müsse es sich bildlich vorstellen. Visualisieren. Einen Weg finden, einen Kontakt herstellen. Etwas, was Allegra, May und sie verband, als Leiter dienen konnte. Luft - zu dünn, nicht greifbar, zu leicht zu verwirbeln. Die Pflanzen - zu umschweifend, zu verzweigt. Wasser - sie konnte nicht davon ausgehen, dass Allegra und May eine Schale Wasser um sich herum hatten. Erde - sie lagen wahrscheinlich in ihren Betten und auch die Erde war zu global. Zu wenig gerichtet. Frustriert schlug sie die Augen auf und erschrak beinahe, als sie die innere Borke direkt vor Augen hatte. Dann rutschte sie ein Stück zur Seite und begann die Borke abzupopeln, bis ein Loch entstanden war und tatsächlich - es drang ein wenig Mondlicht herein. Mondlicht. Perfekt.

Wieder schloss Yane die Augen. Sie glaubte das Mondlicht auf ihrer Haut fühlen zu können. Es prickelte und sie fühlte, wie es sich in ihr ausbreitete. Sie stellte sich den Schlafbereich vor. May Comina und Allegra, wie sie dort lagen. Wo Ruby war wusste Yane nicht, sie hoffte einfach, dass die Verbindung auch zu ihr durchdrang. Dann fühlte sie sie. Ihre Herzen. Schlugen ruhig, im Gleichtakt. Und Yanes schloss sich an. Die Atmung. Im Gleichtakt.

***"May, Allegra. Könnt ihr mich hören?" Eine Frage, die nicht verbal übertragen wurde, sondern einem Anlehnen glich. Sie lehnte sich astral an ihre Schwestern an. Es war keine Zeit Scham dafür zu empfinden, dass sie sie als solche wahrnahm. Derlei Empfindungen, die sie in der Realität nie äußern würde, würden noch viele auftreten.***


tbc: Schlafbereich

[NSC]

Luca Canalli

*** Luca hätte ja ein bisschen mehr Enthusiasmus erwartet. Konnte der nicht froh darüber sein, einen kompetenten Mitarbeiter zu haben, einen, der kein Risiko einging und mitdachte? Normalerweise hätte er es schließlich nicht nötig, sich von irgendwem sagen zu lassen, was er tun sollte; schon gar nicht von irgendeinem Kriminellen! Wenn er es nicht für seinen Onkel täte und davon ausgehen würde dass sich das hier in Bezug auf seine Karriere auf jeden Fall lohnen würde, dann würde er ja...
Er fuhr mit weicher, fast zärtlicher Stimme fort: "Ja, ich verm..."
Seine Stimme brach ab, als Santiago die Verbindung beendete. ***

tbc: Irgendwo im Dschungel

[Raphael Healy]

Was waren Menschen doch beneidenswert, die in jeder Lage schlafen konnten. Ernsthaft.
Seit Healy ins Zelt gekrochen war, drehte er sich eigentlich bloß von links nach rechts, konnte nicht so recht einschlafen und wenn er dann mal weggenickt war, weckte ihn irgendein Knacken, Zirpen oder sonstwas meistens prompt wieder auf. Schon seit ihrer Ankunft hatte er bemerkenswert schlecht geschlafen und hockte demnach bereits im Morgengrauen meistens mürrisch am Lagerfeuer, wobei die sonst so fein nach hinten gekämmte Frisur irgendwie einem, im Fön explodierten Sittich glich.
Und wenn er schon von so ein paar läppischen Dschungelgeräuschen - und Powells gelegentlichem Geschnorchel - nachts wachgehalten wurde, wie sollte er dann bitte schlafen wenn Santiago nur wenige Fuß neben seinem Zelt telefonierte?!
Irgendwann war er dazu übergegangen, sich einfach totzustellen und hatte mit einem Ohr der einseitigen Unterhaltung zugehört. Ein wenig ärgerte er sich. Sobald der machetenschwingende Psychopath wieder da war, war es mit ruhigem Schlaf sowieso endgültig essig.

Er wartete noch ein bisschen ab, dann setzte er sich im Zelt auf, schlug die Plane zurück und versuchte nichtmal zu verbergen, dass er nicht wirklich geschlafen hatte. Wieso auch?
"Der Maulwurf?" Wer auch sonst. Aber Healy hoffte im Stillen auch nur darauf, dass sich endlich mal jemand mit ihm unterhielt. Sollten Powell und Simon sich auf ihrem Rendezvous anschweigen bis die Affen vor Langeweile von den Bäumen kippten.

[Santiago]

"Yeah", murrte Santiago, blickte nicht einmal aus seiner suchend den Rand des Dschungels abtastenden Routine auf, und hielt auch nicht in dem Schnitzwerk inne, mit dem er sich seit zwei Stunden beschäftigte. Schließlich hatte er Healys Schlafsack rascheln gehört- Kein Grund, überrascht zu tun.
"Einer der Expeditionsteilnehmer setzt sich ab, einer der Träger bringt ihn per Boot stromabwärts", fasste er das Besprochene zusammen, senkte den Blick ins Feuer, spuckte aus, wodurch es in den Flammen zischte und leise knallte. So wie sich die Situation über zwei läppische Tage hinweg zugespitzt hatte, und so viele unbekannte Faktoren wie sich inzwischen in die Gleichung dieser Operation schlichen... war es Zeit für eine direktere Informationspolitik in diesem Team. Schließlich hatte er diese Leute handverlesen weil er ihnen vertrauen konnte, Herrgott. Er hoffte imständig, dass Powell und Payne gerade keinen Mist bauten... das konnte er gerade wirklich nicht mehr haben.

"... Aber niemand, der eine Planänderung wert wäre. Oder auch nur eine Kugel", fügte er hinzu, bedachte Healy schließlich doch mit einem Seitenblick.

[Raphael Healy]

"Hm." Klang tatsächlich nicht so, als würde es ihren Auftrag auch nur ansatzweise gefährden. Im Gegenteil, je weniger Expeditionsteilnehmer sie zu bespaßen hatten, desto besser. Routinemäßig kramte er wieder nach seiner Zigarettenpackung, immer noch gemütlich halb im Zelt sitzend und zündete sich die gefühlt drölftausendste Kippe seit Auftragsbeginn an.
"Dann müssen die ja doch mehr auf zack sein, als gedacht. Wenn man ihm ein Boot zur Verfügung gestellt hat, müssen sie das andere ja bereits repariert haben."
Er bezweifelte, dass der Expeditionsleiter einfach so das letzte verbliebene Boot opferte, zumal es von hier nun noch nicht allzu weit nach Atempo zurück war. Die Route konnte man noch recht schnell zu Fuß hinter sich bringen, vorausgesetzt man fand einen Weg um die zusammengefallene Brücke herum.
"Warten sie auf den Träger, oder ziehen sie direkt weiter?" Wenn ihr Aufenthalt hier sich noch etwas mehr verlängerte und er weiterhin tatenlos Zeuge von Simons Schlangenjagd wurde, würde er irgendwann zum Amokschützen werden.

[Santiago]

"Haben sie", kommentierte er nüchtern und wertungsfrei. Er mochte unzufrieden sein, aber das machte ihn nicht irrational genug, um jetzt anzufangen einen Schuldigen zu suchen. Ein Durchschuss war ein Durchschuss. Langsam, aber fließend, rappelte er sich aus seiner sitzenden Haltung auf, steckte das Armeemesser weg, versenkte die Kodiak wieder im Holster. Der Rasierspiegel blieb, wo er war. "Sie schippern gleich morgen früh flussaufwärts, der Träger wird versuchen schnellstmöglich aufzuschließen", fügte er hinzu- So gesehen doch eine gute Entscheidung, Payne und Powell heute noch einen ersten Blick auf ihr Lager werfen zu lassen. Wer wusste schon, wann sie wieder die Gelegenheit bekämen.

Er wandte sich vom Feuer ab, schlenderte die vier Schritte zu Healy in seinem Zelteingang, beugte sich vor, und schnappte sich eine Kippe aus dessen Schachtel, womit er den Blick des Mannes fing- Und aus verengten Augen zurückstarrte. "Und wenn du das nächste Mal nicht pennen kannst- Mach' ne Wachablösung. Wir haben nicht alle einen leichten Schlaf." Kleine Belehrung zwischendurch, aber während er sich die lässig in seinem Mundwinkel hängende Zigarette anzündete, hielt er seinen Blick bereits wieder auf den Dschungel gerichtet, der ihn zuvor so beunruhigt hatte.

In ihm wuchs eine Idee heran. Auch wenn ihn niemand hier so gut kannte, um das aus einer leicht hochzuckenden Augenbraue abzuleiten.

[Raphael Healy]

"Ich wollte dein Telefonat nicht stören", kams mit charmant-frechem Grinsen.
Für gewöhnlich gab er seine Zigaretten nur widerwillig her - vor allem weil der Scheiß, obwohl es Tabak aus dieser Ecke war, im Dschungel nun auch nicht an den Bäumen wuchs - allerdings motzte er nicht gegen die Aktionen des Chefs und er sah diese 'geliehene' Kippe als Entschuldigung dafür, dass er so lang keinen Mucks von sich gegeben hatte.
"Wenn's danach ginge könnte ich direkt die ganze Nachtwache übernehmen." Schlafen konnte er hier sowieso nicht. Hatte er in den Staaten schon nicht wirklich gekonnt, aber wenn man intensiv von der Polizei gesucht wurde, war das mit dem Ruhe finden auch nicht so einfach. Im Stillen bewunderte er Santiago ja schon für diese ewige Gelassenheit, die bei Healy nicht immer ganz so tief ging, wie er andere gerne glauben machte. Zumindest tief schlafen fiel ihm schwer.
"Payne hilft nicht grade."
Nein, er wollte nicht wieder meckern, aber Santiago wusste inzwischen sowieso schon, dass Healy den Buschmann für ein nicht zu unterschätzendes Risiko hielt.

[Santiago]

"Dabei sicher nicht." Das entlockte selbst Santiago ein trockenes, dezent dreckiges Grinsen. Wenn auch nur ein schmales. Nein, einen Irren wie Simon nahm man definitiv nicht auf Operationen mit, um ruhiger zu schlafen, auch das hatte Healy scharf kombiniert. Wieder tastete sein Blick die Finsternis zwischen den Bäumen ab, während er beiläufig an seiner Zigarette zog. "Aber sobald wir tiefer und tiefer in diesen Dschungel vorstoßen... wird uns seine Ortskenntnis den Arsch retten." Healys und Powells Urwalderfahrung waren bekanntlich vernachlässigbar, und seine eigene hatte er an anderen Orten gesammelt- dabei war jede dieser Regionen anders, jede hatte ihre eigenen Tücken, und Recherche konnte einen nur so weit bringen. Dann wandte er seinen Blick wieder seiner Wachablösung zu.
"Und, wer weiß, sogar seinen eigenen."
Tonfall und Ausdruck in den im Schatten funkelnden Augen ließen keinen Zweifel daran, dass Santiago im Fall der Fälle nicht zögern würde, einen Typen zu entsorgen, der ihn zu erpressen versuchte, sobald dieser Fragen an seiner Nützlichkeit aufwarf.

Sogar Simon musste mal schlafen.

Sein Blick wandte sich wieder gen Unterholz, wieder glomm die Kippe von seiner hohlen Hand verdeckt auf. "Wird Zeit, sich doch mal bei Canalli zu melden. Er hat vielleicht Mittel und Wege, das zweite Boot in San Palabra mit irgendwelchen bürokratischen Spitzfindigkeiten eine Weile lang aufzuhalten, ohne dass es Verdacht erregt." Canalli hatte in Narracion schließlich beträchtlichen und bekannten Einfluss... auch politischer und finanzieller Art. Und jede Stunde, welche die Expedition eines ihrer Boote misste, fiel sie zurück und war angreifbarer.

Keine Planänderung, keine Kugel, nur ein Detail.