Dorfplatz mit Brunnen

[NSC]

Astoria Bolivar
Nun, Nacho nörgelte auch nur selten, nahm es nicht übel, wenn sie ihn wenig beachtete, und wenn eines vorhersehbar war, dann die Art, wie dieser sture, dickfellige, wunderbare Mann sein Leben führte. "Sie wartet aber auch nicht mit einem Lächeln auf dich, wenn du müde von der Arbeit kommt, legt deine Lieblingsplatte auf und massiert deine Füße, Liebes." Astoria lächelte mütterlich. Man konnte doch ganz deutlich sehen, dass die arme Catarina litt! Die Arbeit vorschieben, weil einen der Liebesgott noch nicht mit seinen Pfeilen getroffen hatte - das war so traurig mitanzusehen!
"Weißt du", sagte Astoria bemüht munter, während sie sich ans Herz fassen mussen beim Anblick Catarinas, wie sie kalt einen Kinderwunsch abwies, "du warst so lange fort aus Atempo; vielleicht sollte ich dir einmal einen netten jungen Mann vorstellen!" Und automatisch begann Astoria in ihrem Gedächtnis den überschaubaren Katalog an heiratsfähigen Einheimischen im Dorf durchzugehen.

[Catarina Bolivar]

"Das kann Frau von Welt heutzutage auch alleine." Es kam mehr gemurmelt und im Stillen hoffte sie irgendwie, dass Astoria diesen Kommentar nicht gehört hatte. Es brachte nichts, mit Heimchen über Feminismus und dergleichen zu diskutieren. Schonmal gar nicht, wenn es sich bei besagten Heimchen um die eigene Familie handelte.
Die Aussicht auf einen jungen Mann ließ sie allerdings schlagartig etwas blass ums gepuderte Näschen werden. "Jungen Mann?!" Aus Atempo? Einen Fischer? Himmel nein! Im Leben nicht! Nicht in diesem und auch in keinem anderen! Sie war ja schließlich hier weg um nicht im Haus von irgendeinem stinkenden Fischfänger zu enden. Gott, wie sie sich grade nach Primera wünschte. Dort waren die Männer gut gekleidet, trugen feines Aftershave und wussten, wie man eine Dame behandelte. Hier allerdings... beinahe schüttelte sie sich. "Das wird nicht nötig sein, Astoria. Wirklich nicht." Hilfe?

[NSC]

Astoria Bolivar
"Aber schau doch einmal, wie praktisch das wäre!" Astoria strahlte ihre Nichte an, auch wenn dieser das Entsetzen an der Nasenspitze abzulesen war. "Du wärest auch gleich wieder viel näher bei deiner Familie, und wir könnten dir auch alle helfen, wenn du erst einmal Kinder bekommst..." Einspruch erwartend hob Astoria gleich beschwichtigend die Hände. "Oder auch, wenn du erst einmal weiterarbeiten möchtest. Heutzutage gibt es doch ganz viele Möglichkeiten, wie du deine Arbeit auch an einem anderen Ort..." Sie brach ab, runzelte die Stirn und sah Catarina nachdenklich an. "Was tust du noch einmal genau?"

[Catarina Bolivar]

Konnte sie ihren Chef auf Schmerzengeld verklagen? Das hier hielt sie keinen Tag länger aus.
"Ich bin die Assistentin eines namenhaften Historikers." Sie seufzte. Vielleicht klang das ja endlich wichtig genug, dass Astoria sich keine Hoffnungen mehr machte, sie nach Atempo zurücklocken zu können. Nicht das sie damit rechnete, dass ihre Cousine Canalli kennen würde. Die kannten hier ja nichts, außer jede einzelne Fischsorte dieses Planeten. "Das setzt bedauerlicherweise voraus, dass ich in Primera lebe. Ansonsten wäre es quasi unmöglich, meinem Beruf weiterhin nachzugehen." Und sie wollte garantiert nicht heiraten. Schonmal gar keinen Kerl aus Atempo. Und Kinder konnte sie auch nicht leiden.

[NSC]

Astoria Bolivar
"Si, si, das weiß ich, das weiß ich." Astoria winkte etwas ungeduldig ab. Sie erinnerte sich noch deutlich daran, was ihre Cousine für ein Aufheben gemacht hatte, als Catarina ihre Anstellung bekam. Tagelang hatte sie von nichts anderem erzählt - und schon damals hatte sich Astoria eine bestimmte Frage gestellt, die sie aber natürlich nie an ihre Cousine gerichtet hatte (nicht einmal über einen anderen Verwandten) und die ihr vermutlich hier auch niemand hätte beantworten können.
"Aber was heißt das denn eigentlich? Also - was tust du? Kochst du Kaffee und nimmst seine Gespräche an?" Gut, so etwas konnte sie natürlich nicht von Atempo aus übernehmen. Aber für so eine Tätigkeit verdiente man doch sicher nicht soviel Geld, dass man es sich leisten konnte, sich solche Schuhe hier auf dem Boden zu ruinieren!

[Catarina Bolivar]

Kochte sie- also bitte! Gut, dass Catarina in den letzten fünf Jahren gelernt hatte ihren Blutdruck unter Kontrolle zu halten. Nicht zuletzt wegen Canallis Katzen, diesen unsäglichen Viechern. Statt vollends beleidigt, wirkte sie demnach nur ein wenig verstimmt, aber selbst das war recht rasch wie weggewischt.
"Ich verwalte um seine Termine, führe Telefonate, erledige einen Großteil des Briefverkehres und kümmere mich um allerhand persönliche Anliegen", was auch immer das jetzt bedeuten sollte. Im Leben würde sie nicht zugeben, dass sie seine Wäsche von der Reinigung holte oder die Katzenklos seiner verwöhnten Drecksviecher reinigte. Nein, sie war wichtig. Wichtiger als ganz Atempo vermutlich. Und weil sie wichtig war, verdiente sie entsprechend. So einfach war das.

[NSC]

Astoria Bolivar
"Aha." So wirklich schlauer fühlte Astoria sich jetzt nicht. Es klang allerdings immer noch sehr nach Sekretärin - aber vielleicht war der Senor ja nicht nur namhaft, sondern hatte auch einige gute Einnahmequellen, so dass er seiner Sekretärin mehr als üblich zahlen konnte. Oder aber sie verdiente in Wahrheit gar nicht so gut, und neben den teuren Schuhen, die sie jetzt trug, konnte sie sich keine dschungeltauglichen Treter leisten! Musste ja so sein. Ob sie ihr vielleicht mal ein paar bequeme schenken sollte?
"Du hast recht", sagte Astoria unter nachdenklichem Nicken, während sie auf Catarinas 'Klickklack-Schuhe' starrte. "Da kannst du natürlich nicht von hier arbeiten. Der Mann braucht seine Sekretärin ja vor Ort. Und er wird sicher nicht herziehen." Viele Menschen hätten vielleicht den Wunsch des Mannes bezweifelt. Astoria nicht. Wünschen konnten Gringos sich schließlich viel!

[Catarina Bolivar]

"Assistentin", betonte sie prompt nochmals. Sie war keine Sekretärin. Sekretärinnen waren ersetzbar, sie nicht. Sie managte schließlich Canallis gesamtes Leben und das mit einer Leichtigkeit, für die sie sich selbst immer mal wieder auf die Schulter klopfen wollte. Und gerade weil sie Assistentin war und keine bloße Sekretärin, konnte sie von ihrem Gehalt ausgesprochen gut leben. Und sich so elegante Schuhe leisten.
"Wie geht's der Verwandtschaft eigentlich? Nacho, Miguel-" Gut, vielleicht war es ein wenig ungewöhnlich, dass sie sich ausgerechnet nach Miguel erkundigte. Mit ihrem Cousin des drölftausendsten Grades hatte Catarina seit ihrer Kindheit nichts mehr zu tun gehabt, aber Garcias Bemerkung, dass ausgerechnet Miguel mit der Expedition zu tun hatte, ließen ihr irgendwie keine Ruhe.

[NSC]

Astoria Bolivar
Sekretärin, Assistentin - für Astoria klang das vollkommen gleich. Es bedeutete doch, für jemanden zu arbeiten, statt für sich und die eigene Familie. Es bedeutete, weit fort vcon Atempo und allen, die sie liebten, zu leben. Es bedeutete, ein einsames Leben führen zu müssen, in dem man glaubte, sich mit Schminke und ebenso teurer wie unpraktischer Kleidung etwas daraus machen zu können, was man war und tat. Aber sie musste ja nur in Catarinas Gesicht blicken, um zu wissen, dass sie davon nichts würde hören wollen. Vielleicht war sie einfach noch nicht bereit, wieder in den Hafen einzulaufen.
Als die Rede auf die Familie kam, holte Astoria Luft, um Catarina dezidiert über Nachos mangelnden Appetit in der letzten Zeit - er vertilgte nur noch drei Stücke von ihrer Bananen-Kokos-Torte statt fünf wie früher - seine Rückenschmerzen, gegen die ihr Mama Santos irgendeinen Anhänger hatte andrehen wollen, den sie nur aus Höflichkeit angenommen und ins Fenster gehängt hatte, damit die wunderliche, freundliche Nachbarin ihn auch sah, seine Fußnägel und den Haarausfall, der größere Kreise zog, als Nacho sich eingestehen wollte, der liebenswerte sture Esel. Kurz gesagt: Astoria wäre bereit gewesen, sämtliche nicht existenten Krankenakten über die Zipperlein und Wehwehchen ihres Mannes auszubreiten, aber dass Catarina ausgerechnet nach Miguel fragte, ließ sie stutzen. Miguel.. nun, der war doch auch ein Junggeselle! Jünger als Catarina zwar, aber was machten schon ein paar Jährchen? Und Catarina und er waren weitläufig genug verwandt, da könnte man doch...
"Ayayay, Miguel!" Astoria strahlte. "Miguel ist ein wirklich großer, gutaussehender Junge geworden. Du musst ihn ja schon Jahre nicht mehr gesehen haben. Sicher wirst du ihn kaum wiedererkennen! Allerdings", Astoria seufzte schwer, "allerdings hat er ein bisschen viel Zeit. Er beginnt, seltsame Ideen zu entwickeln. Zu dumm, dass da kein Mädchen ist, das darauf aufpasst, dass er sich keine Flausen in den Kopf setzt!"

[Catarina Bolivar]

"Seltsame Ideen?" So so.
Bis dato war Catarina mehr oder minder überzeugt davon gewesen, dass Miguel sich aus schierer Langeweile dieser Expedition angeschlossen hatte. Niemand der auch nur ansatzweise Hirn im Kopf hatte, hielt es bei der verkappten Verwandtschaft in Atempo lange aus und vielleicht träumte der Junge endlich - dem Himmel sei Dank! - auch schon von Flucht vor Mama und Kohorten. Sie warf einen kurzen, unauffälligen Blick auf ihr Handy, in der Hoffnung, dass Garcia, dieser undankbare Gnom, vielleicht endlich mal seinen Job erledigt und Miguel zwischen gekriegt hatte, aber nichts dergleichen. Das Display zeigte den altbekannten Hintergrund - das Chanel Symbol - und einen erschreckend schlechten Empfang. Wie immer also.
"Klingt ja beunruhigend. Was für Ideen sollen das sein?"
Ja, wenn sie jetzt noch ahnen würde in welche Scheiße sie sich da grade reinritt...