Die Tempelchronik von Narracion

"Natürlich."
Sie verengte beim Blick des Katers kaum merklich die Augen. Bedauerlicherweise hatte sie keinen Einblick in die privaten Papiere Canallis - zumindest nicht in alle - aber sie war sich recht sicher, dass diese Biester irgendwas erben würden, sollte Canalli je das Zeitliche segnen. Im Stillen wünschte sie sich für die Katzen ein wunderschönes Aristocats-Szenario, das allerdings gerne nicht ganz so Disney-like ausgehen durfte.
"Ich denke, ich weiß schon an wen ich mich da wenden muss. Seien Sie unbesorgt, der Herr wird für geraume Zeit nicht in den Dschungel zurückkehren." Sie lächelte selbstbewusst.

Ja, es hatte sich eindeutig gelohnt, sie herzubitten. Zufrieden griff Canalli mit der linken Hand nach seinem Eistee - die gute, rechte Hand war immerhin mit dem Kraulen beschäftigt, und das konnte er ja wohl schlecht mit seiner schwächeren Hand tun - und nippte daran. "Ich bin unbesorgt, meine Liebe." Zumindest graduell betrachtet.
"Ich habe es mir erlaubt, ein kleines Konto einzurichten, auf das Sie zurückgreifen können, um Ihre Auslagen auszugleichen." Natürlich war es so angelegt worden, dass es nicht zu ihm zurückzuverfolgen war, aber gerade das musste er ihr ja nicht auf die Nase binden. Außerdem habe ich mich gefragt, ob Sie es womöglich bequemer fänden, im Anschluss daran, dass Sie sich ein paar Tage von den Reisestrapazen erholt haben, in ein Hotel zu ziehen, statt sich mit so einer kleinen Kabine hier an Bord begnügen zu müssen." Natürlich gab es wenig ansprechende Zimmer in dieser Fischerstadt; und diejenigen, die Canalli genügt hatten, waren in Privatbesitz. Sicher gab es aber doch die Möglichkeit, wenn man nicht ganz so hohe Ansprüche hatte, irgendwo ein günstiges Bett mit Frühstück zu organieren. Spätestens wenn er doch abreisen würde, bliebe ihr ja eh nichts anderes übrig.

In solchen Momenten wurde Cinderella schmerzlich daran erinnert, dass sie es im Leben noch nicht zur Marilyn Monroe geschafft hatte. Sie wusste, wie die Hotels in diesem Kaff aussahen und legte wahrlich keinen Wert darauf, tagelang nach Fisch zu stinken. Allerdings hätte Canalli ein 'Ich will Sie eigentlich nicht auf meinem Schiff' nicht freundlicher ausdrücken können, das musste man ihm lassen. Ihr Lächeln blieb also wie eingemeißelt. "Ein Hotel wäre sicherlich die praktischere Übernachtungsart." Und das trotz hoher Ansprüche, die allerdings wenig gerechtfertigt waren. Nur wollte sie sich das natürlich nicht eingestehen. "Auf Sie wartet außerdem viel Arbeit in Primera. Ganz freihalten konnte ich Ihren Schreibtisch leider nicht." Wobei sie ihr bestes gegeben hatte, Canalli in dessen Abwesenheit so viel Arbeit wie möglich abzunehmen. Den leidigen Kleinkram, um den sie sich sonst auch immer kümmerte.

"Ja, das war zu befürchten", nickte Canalli mit einem schweren Seufzen. Selbstverständlich war ihr das nicht gelungen; ein Canalli war eben nicht zu ersetzen, egal wie sehr man sich dafür einsetzte. "Aber für einige Tage werde ich noch die Ruhe hier zu genießen versuchen." Und Catarina dabei unauffällig auf die manikürten Finger schauen, ob sie seine Interessen auch mit dem gewohnten Geschick vertrat.
Zunächst aber ließ er sich von ihr auf den neuesten Stand bringen, was denn tatsächlich so auf seinem Schreibtisch lag und wer wie vehement am Wochenende um seine Aufmerksamkeit gerungen hatte - je nach Stand der Sympathie befand Canalli, dass sich Menschen als würdig erweisen mussten, sich mit ihm zu treffen, vor allem wenn es weder Politiker noch Pressevertreter waren. Schließlich war Canalli wichtig und bedeutsam und konnte sich daher nicht mit zu vielen unwichtigen Menschen treffen.

Anschließend gab er Catarina zu verstehen, dass er nichts dagegen hätte, wenn sie jetzt auspackte, sich erst frisch und dann womöglich bereits an die Arbeit machte. Ob sie um diese Zeit noch jemanden in irgendwelchen Büros antraf, erschien ihm zwar zweifelhaft, aber wozu gab es Telefone und das Internet? Ihm gelüstete es jedenfalls nach einem Abendessen mit seinen zwei Lieblingen und anschließend einem guten ausländischen Wein und vielleicht einer Partie Schach mit seiner Krankenschwester.

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