Salon

[Homer Canalli]

Ja, das war die Schwachstelle seiner wunderbaren Theorie gewesen - es sprach wohl für sein Personal, dass es diese Schwäche ausmachte, statt Luca umstandslos aufzunehmen, so wie Williams es getan hatte.
"Wer kann schon in den Kopf eines jungen Menschen schauen und seine Beweggründe enträtseln?", seufzte Canalli erneut schwer und machte eine knappe Handbewegung in Lopez' Richtung, damit dieser sich wieder zurückzog. Canalli griff nach seinem Glas, das Lopez ebenso wie Catarinas gefüllt hatte, und nahm einen tiefen Schluck. Anschließend griff er nach einer Stoffserviette und tupfte sich damit die Lippen ab, wobei er auch gleich die letzten Schweißperlchen zwischen seinem Schnurrbart entfernte.
"Aber jetzt, wo er es nun einmal getan hat, gilt es Mittel und Wege zu finden, um diese Expedition zu unterbinden. Soll der Junge sich ruhig ein paar Tage die Hörner abstoßen, aber zum Wochenende wäre es schön, wenn er bereits auf dem Heimweg wäre." Er lächelte Catarina an. "So etwas sollte doch machbar sein, meine Liebe."
Es war keine Frage; es war eine Aufforderung.

[Catarina Bolivar]

Obwohl ihr eher danach war, den kühlen Eistee runterzustürzen als hinge ihr Leben davon ab - tat es vermutlich auch, zumindest in ihrer glitzernden, divenhaften Welt - riss sie sich zusammen und nippte lediglich an dem Glas, wobei sie sich prompt daran erinnerte, dass sie Maybelline immer noch keinen Dankesbrief für die Erfindung von nicht abfärbendem Lippenstift geschrieben hatte. Unbedingt auf die To-Do Liste! Direkt nach dem nächsten Job von Canalli.
"Selbstverständlich ist das machbar."
Sie lächelte zuckersüß. Eine Woche Zeit um Canallis Neffen aus dem Dschungel zu holen und eine Expedition zu zerschlagen. Die kadereigene Giftspritze hatte schon durchaus schwerere Hürden überwältigt - ihr größter Triumph war immer noch ihr beruflicher Erfolg trotz ihrer Herkunft - aber so ganz überzeugt war sie selbst noch nicht. Sie kannte die groben Angaben zu Williams Expedition, schlicht weil sie meistens mit Canallis Papierkram vertraut war, aber von diesem Plot - und sie zweifelte nicht daran, dass Canalli persönlich den Jungen in den Trupp geschleust hatte - wusste sie nichts.
"Es würde allerdings vermutlich helfen, wenn Sie mich ein wenig auf den neusten Stand bringen könnten. Vorausgesetzt das macht keine Umstände." Zu forsch war sie diesmal nicht. Wenn Canalli ihr nur die spärlichen Informationen lassen wollte, musste sie eben damit leben.

[Homer Canalli]

Canalli nahm noch einen Schluck, stellte das Glas ab und legte den Kopf leicht in den Nacken, während er sinnierend den Eistee auf seiner Zunge herumschwappen ließ. Ja, was war denn der aktuelle Stand? Dass er seinem Lieblingsneffen eine Gruppe Söldner auf den Hals gehetzt hatte, deren Anführer nicht für Lucas Sicherheit hatte garantieren können und wollen? Nein, das wohl eher nicht.
"Nun, soweit ich aufgeschnappt habe, ist Williams nach dem Erhalt sämtlicher dafür vorgesehener Anträge mit seinen Getreuen hier in San Palabra angekommen und am Samstag in die Boccacciobucht aufgebrochen. Sie haben dieses Schiff genommen, das zum dortigen Handelsposten fährt. Zuletzt sind sie am Samstag Nachmittag in Atempo gesehen worden." Canalli zuckte mit seinen massigen Achseln. "Sie sind mindestens zu sechst, zuzüglich zweier Träger." Leider hatte sich Luca nicht bei ihm gemeldet, aber vermutlich tat der kluge Junge das nur nicht, damit Williams keinen Verdacht schöpfte.

[Catarina Bolivar]

Kurz machte sich die grauenvolle Sorge in ihr breit, dass Canalli nun von ihr erwartete, Luca in den Dschungel nachzudackeln und sie unterdrückte mit Mühen ein Schauern. Nichts und niemand würde sie in diesen Urwald bewegen, oh nein. Nicht nach einer traumatisierenden Kindheit voller Geschichten über Raubkatzen und schattenhafte Wesen. Von den ganzen, mehr als realen Krabbelviechern und dem unebenen Boden und der körperlichen Anstrengung mal ganz zu schweigen. Das war tatsächlich nichts für Senorita Bolivar, allerdings dürfte Canalli das auch wissen.
"Ihr Neffe hält doch sicherlich Kontakt mit Ihnen."
Zumindest konnte sie sich nicht vorstellen, dass Luca gänzlich ohne Außenkontakte oder zumindest einem Mittelsmann mit der Expedition losgezogen war. Oder besser, sie konnte sich nicht vorstellen dass Canalli ihn ohne jegliche Form der Überwachung hatte ziehen lassen.

[Homer Canalli]

"Gewiss hätte er die Möglichkeit dazu, aber die Kommunikation in die Bucht scheint häufiger gewissen Störungen zu unterliegen." Er schüttelte bedauernd den Kopf. Tatsächlich war das etwas, was ihm gestern ein Senor.. hach, er hatte den Namen vergessen! Ein Senor Unwichtig jedenfalls hatte sich darüber eine ganze Weile bei ihm beklagt. Aber das war eben der Nachteil, wenn man sich weigerte, einen anständigen Sendemast zu errichten, Naturschutz hin oder her!
"Woran ich allerdings höheres Interesse hätte als an der Kommunikation mit meinem Neffen, wäre eine Kommunikation mit den örtlichen Behörden. Natürlich scheint es, als wären alle Auflagen erfüllt - aber was, wenn Angaben nicht gestimmt haben oder neue Gesetze in Kraft getreten sind? Sie verstehen - der Gedanke, mein Neffe könnte Teil einer illegalen Expedition sein, raubt mir den Schlaf!"

[Catarina Bolivar]

"Das wäre natürlich unter allen Umständen tragisch."
Womit für sie auch klar war, was genau ihre Aufgabe war. Mehr musste Canalli diesbezüglich also gar nicht sagen. Die Welle der Erleichterung, die über sie schwappte als feststand, dass sie nicht in den Dschungel musste, muss an dieser Stelle vermutlich gar nicht erst erwähnt werden. Ihre Erleichterung konnte sie nur knapp verbergen und das selige Lächeln versteckte sie rasch hinter ihrem Eisteeglas.
"Selbstverständlich werde ich mich umgehend um die Sicherheit Ihres Neffen bemühen." Und nur darum natürlich. Das liebliche, durch und durch unschuldige Lächeln schien nicht von ihren Lippen zu weichen. Catarina konnte schließlich kein Wässerchen trüben. Niemals.

[Homer Canalli]

Canalli lächelte selbstgerecht. Selbstverständlich würde sie das tun. Aus keinem anderen Grund hatte er sie hergeholt. Immerhin konnte er schlecht persönlich mit den hiesigen Behörden parlieren und irgendwelchen Sachbearbeitern hinterhertelefonieren. Er war Homer Canalli!
Allerdings hatte Catarina ihn da auf eine Idee gebracht; etwas, was durchaus hilfreich sein könnte.
"Womöglich", Canalli tippte sich nachdenklich mit dem Ringfinger gegen das Kinn, "wäre es allerdings in der Tat sinnvoll, sich über den aktuellen Stand zu informieren. Wann sie aufgebrochen sind und wie viele Träger sie haben engagieren können - Informationen, die wohl am besten in diesem Dorf zu erlangen sind." Er sprach plaudernd, beinahe so, als würde er nur laut vor sich hindenken.

[Catarina Bolivar]

"Sie... meinen in Atempo?", ihre Stimme war mit jeder Silbe ein wenig höher geworden und lediglich ihre tadellose Selbstbeherrschung hielt sie davon ab, verschreckt zu kieksen.
Ob Atempo unbedingt besser war als der Dschungel selbst, wagte Catarina zu bezweifeln. Ihre Familie lebte in Atempo. Und die Madame war geneigt, teilweise die eigene Verwandtschaft als fischende Hinterwäldler zu bezeichnen, und ja, das meinte sie so böse wie es klang. Sie fing sich allerdings schnell, räusperte sich kaum merklich und nippte wieder an ihrem Eistee.
"Wenn Sie das für sinnvoll erachten, mache ich mich natürlich direkt morgen früh auf den Weg."
Gott bewahre. Oder sonstwer, der irgendwas da oben zu sagen hatte. Wenn sie irgendeinen Ort auf diesem Planten meiden wollte, dann war das Atempo.

[Homer Canalli]

"Eine gute Idee von Ihnen." Canalli lächelte und ignorierte Catarinas hörbaren Unwillen gegen diesen Vorschlag. Er bezahlte sie schließlich nicht dafür, dass er sie zuvor um Erlaubnis bitten musste, wenn sie etwas erledigen sollte. Fragte er sie, ob sie etwas gegen das Viertel hatte, in dem seine Reinigung lag, oder ob sie ein Problem damit hatte, kurz vor Feierabend zu einer mehrstündigen Odyssee aufzubrechen, um ihm den richtigen Wein zu den richtigen Schnittchen zu besorgen? Natürlich nicht.

"Reisen Sie doch einfach auf demselben Weg und erkundigen Sie sich, ob es Neuigkeiten gibt. In einer Gegend wie hier, könnte ich mir vorstellen, ist der gepflegte Smalltalk unter Freunden und Nachbarn eine erkleckliche Freizeitbeschäftigung." Immerhin gab es hier vermutlich wenig Interessantes zu tun. Tratschen und Nachkommen zeugen. Herrje. Wie konnte man nur jenseits der Städte leben?
"Nehmen Sie sich dafür ruhig den ganzen Tag, oder auch zwei." Sein feines Lächeln unter dem gezwirbelten Schnurbart blieb unerschütterlich.

[Santiago]

[cf: Boccacciobucht; Lager Team Santiago; Telefongespräch]

*** Er zog den Ohrstöpsel hervor, straffte das dünne Kabel, prüfte die Höhe des Micros, und steckte sich das Plastik schließlich ins Ohr, während er sich von Healy abwandte, und gen anderer Seite des Lagerfeuers tigerte, sich darauf verlassend dass seine Ablösung so langsam Wachposition einnehmen würde, während er ihren Telefonjoker ausspielte. Wenigstens etwas, das er tun konnte, ehe das dynamische Duo hoffentlich mit guten Nachrichten zurückkehrte.

Santiago wählte an dem an seinem Gürtel hängenden Gerät Canallis Nummer und ließ es klingeln, ohne den Dschungel auch nur einen Moment lang aus den Augen zu lassen.

Berufskrankheit. ***