Die Tempelchronik von Narracion

c.f: voriger Tag

Sein Magen knurrte. Nicht allzu laut, aber schlimm genug das Diego sich inzwischen ärgerte, Mays Proviant schon am Vorabend komplett verputzt zu haben. Die Aussicht auf ein Mittagessen und ein Nickerchen am Tempel, stimmte ihn grade mehr als selig und beschwingt und fröhlich verließ er den Pfad, der in die Schlucht hinunterführte und wanderte weiter zum Teich. Nur noch durch diesen vermaldeiten Tunnel, eine Runde Kopf anschlagen, dann konnte er sich endlich hinhauen und ausschlafen.
Verwunderlich eigentlich, dass alles so gut gelaufen war. Yane war, nach einigen halbwegs lautstarken Protesten, freiwillig und allein zum Tempel aufgebrochen und er hatte die Gringos ein Weilchen beobachten wollen, bis das Lager sich, anscheinend von Geisterhand, mehr oder minder von selbst aufgelöst hatte. Erst verschwand einer, dann ein anderer und am Morgen war der Letzte von ihnen auch noch aufgebrochen. Und kaum einer hatte die flirrenden, dunklen Flecken bemerkt, die fröhlich durch das Lager gesurrt waren und von denen Diego sich ausnahmsweise brav ferngehalten hatte. Ausnahmsweise.

cf: Tempel/Hochplateau

Allegra mochte die Dunkelheit, und sie hatte auch nichts dagegen, sich vorsichtig über unebenen Boden und unter tiefhängenden Decken vorbei zu bewegen; dennoch atmete sie jedes Mal ein bisschen freier aus, wenn sich das Ende des Tunnels näherte, der als Abkürzung in die Schlucht beziehungsweise aus ihr heraus führte - je nachdem, ob man zum Tempel wollte oder, so wie Javier und sie, aus dieser Richtung kam.
Dieses Mal war die Freude, aus dem kühlen Stein ins warme Sonnenlicht zu treten, noch etwas größer, denn die Gestalt da am Teich war kaum zu übersehen oder gar zu verwechseln. "Diego!" Allegra lächelte erleichtert. Es war ihm also nichts geschehen, und er würde auch das Ritual nicht versäumen. "Bringst du Neuigkeiten von den Gringos?"
Lieber gleich jetzt alle schlechten Nachrichten sammeln - dann hatte sie noch Zeit, sie zu verdauen, bis sie die Verhüllten an der Laete-Mündung einsammelten - wenn sie dort hoffentlich auf sie trafen.

Hm, ja gut, daß sich Allegra zufriedengab...hatten ja schon genug Sorgen. Schweigsam stapften sie durch den Tunnel.
Ahh, Licht... und Diego!!
"Diego!" rief er erfreut aus.

"Was macht ihr Zwei denn hier?"
Er grinste, heiter wie eh und je, während er mit der Hand die Augen vor der Sonne abschirmte. Er hatte ja eigentlich fest damit gerechnet, dass am Tempel alle mit den Vorbereitungen fürs Ritual beschäftigt waren. Das Javier wieder hier war, bedeutete dass Ruby ebenfalls eingetroffen war und zumindest die Priesterinnen vollzählig am Tempel vertreten waren. Vorausgesetzt Yane war so brav zurückgedackelt, wie sie versprochen hatte.
"Neuigkeiten gibt's, definitiv." Und so wie er grinste konnten sie unmöglich schlecht sein. "Die eine Gruppe Gringos hat sich aufgelöst. Vier hat der Dschungel geschluckt, der Fünfte hat heute morgen die Sachen gepackt und ist in Richtung Handelsposten losmarschiert. Ich denk mal von denen sehen wir hier nichts mehr." Die Schatten verschwieg er vorsichtshalber erstmal. Nachher machte Allegra sich nur unnötig Sorgen.

"Wir wollen die Verhüllten umleiten, um sie davor zu bewahren, den Gringos in die Arme zu laufen", erklärte Allegra und machte sich vorsichtig daran, das letzte Stück zwischen Tunnelmund und dem Erdboden herunterzuklettern. In jungen Jahren war sie es einfach versprungen, aber die Zeit ging ja an niemandem spurlos vorbei.
In Richtung Handelsposten.. "Hoffentlich begegnen sie jetzt nicht diesem Fünften..", unkte sie unzufrieden. Es war einfach furchtbar, schimpfte sie innerlich auf sich selbst. Da hörte sie die erste gute Nachricht über diese Gringos seit langem, und sie suchte sich zielsicher das Schattenseitchen heraus! "Was heißt überhaupt: der Dschungel hat sie geschluckt? Sind sie tot?" Allegra fühlte sich allein bei dem Gedanken, dass eine positive Antwort darauf sie erfreut hätte, schlecht. Natürlich hatte der Dschungel seine eigenen Gesetze, und wenn man sich nicht an diese hielt, spielte man mit seinem Leben, aber den Tod eines anderen gutzuheißen - nein, unmöglich.

Ha! Ein grinsender Diego...gut! Naja, er grinste auch gern und wischte im Moment seine Sorgen weg...
Prüfend sah er Diego an. Allegra war sichtlich erleichtert.
Zugegeben, die Nachrichten waren gut- ein paar Gringos weniger. War zu hoffen, daß diese gut aus dem Dschungel herausfanden, und keine Beute für die Schatten boten!
"Trotzdem," sagte er, "ich mache drei Kreuze, wenn wir alle vollständig beim Ritual sind! Ähm, ich danke natürlich den Selenen!" verbesserte er sich und ginste dann auch mal. Ach, gut, daß Diego nun auch da war! Blieb nur die Frage, wo Miguel war...er verzog das Gesicht, als er den neuerlichen Grübelanfall spürte.

Gentleman der er war, reichte er Allegra die Hand damit sie heile vom Tunnel runterkam. Selbst ihr Gemotze konnte sein Grinsen nicht vertreiben.
"Ich weiß nicht", antwortete er schulterzuckend auf die Frage ob die Gringos tot seien. "Vielleicht, wenn sie in die Schlucht oder in die Laete gestürzt sind." Oder wenn die Schatten schlimmeres mit ihnen angestellt hatten. Wobei es kleine Schatten gewesen waren, so schwach das sie kaum zu erkennen gewesen waren. Die verschwanden in der Regel nach ein paar Stunden wieder von alleine aber in diesen Stunden hatte es die Gringos wahrscheinlich so weit zerstreut, dass sie bis zum Ritual nie wieder zueinander finden würden. Als er Javiers Blick bemerkte, zog er bloß leicht fragend aber nach wie vor gut gelaunt die Augenbrauen hoch.
"Javier hat seinen Denker-Blick drauf. Was'n los?"

Also wussten sie im Prinzip immer noch nichts. Die Gringos waren nur nicht mehr da, wo sie sie zuletzt gesehen hatten. Nun, hoffentlich würde Yane das nicht auf dumme Ideen bringen und sie versuchen, diesen einen Gringo zu finden. Am besten sorgten sie dafür, dass Yane möglichst lange am Tempel blieb, um ihr erst gar keine Gelegenheit für Dummheiten zu geben.
Allegra beschloss, sich darum einfach mal später Sorgen zu machen und erst einmal einen Schritt nach dem nächsten zu machen.
"Abgesehen davon, dass wir die Verhüllten davon abhalten müssen, den Gringos von dieser Expedition in die Arme zu laufen?", erkundigte sie sich sarkastisch und zuckte mit den Achseln. Sie hätte jetzt gern eine Zigarette gedreht, unterließ es aber. "Nun, Miguel ist noch nicht zurück." Besorgt sah sie Diego an. "Du hast ihn nicht zufällig unterwegs...?"