Hauptraum

[Narracion]

Am Ende eines Ganges öffnet sich im Innern des Tempels eine riesige Halle, die von massigen Steinsäulen getragen und einem komplizierten System von Schächten mit Licht und frischer Luft versorgt wird. In alten Zeiten und heute zu den großen Ritualen können hier nicht nur ausreichend Tische und Bänke aufgestellt werden, um einige hundert Gläubigen zu verköstigen: Hier könnten auch bequem provisorische Nachtlager eingerichtet werden. Die jetzige Anzahl der Verhüllten würde jedoch auch Unterschlupf in den abgetrennten Schlaf- und Wohnzellen finden, die sich an zwei Wänden des Saals befinden und sich über vier Etagen erstrecken. Leitern und Rampen sowie breite Galerien ermöglichen die Bewegung zwischen den Räumen. Wer am Rad des Mondes lebt, hat hier ebenfalls seine privaten Räumlichkeiten.

An den ursprünlich unbearbeiteten freien Wänden sowie den Säulen finden sich zahlreiche Schriftzüge und Zeichnungen, die mal mehr und mal weniger kunstvoll von den Pilgerern vergangener Tagen hinterlassen wurden: Schutz- und Glücksbitten, Gebete, Kinderkritzeleien, kleine Kunstwerke, Geschichten und Lieder sind hier dicht an dicht zu finden, wenn ihnen auch in Teilen von Rauch, Ruß oder der Zeit zugesetzt worden ist.

Der Hauptraum bietet mehrere Kochgelegenheiten, Feuerschalen und Befestigungen für Kerzen oder Fackeln. Auch in der größten Mittagshitze ist es hier kühl, da die dicken Steinwände nicht nur Geräusche, sondern auch Hitze aussperren.

[Narracion]

[May Comida]

cf: Tempelanlage - Hochplateau

"Du kannst die Sachen erstmal auf den Stuhl da stellen." Und nickte zum Tisch. Sie würde ihre Sachen ein wenig später verstauen. Jetzt stand erstmal wichtigeres im Raum. Allegra bekochen - Das konnte ein Heidenspaß werden.
Mit dem Zeigefinger drohend wandte sich May zu Allegra um. "Dass du mir ja nicht auch nur den Kochlöffel anrührst. Zu viele Köche verderben den Brei." Während sie einzelne Zutaten aus ihren Beuteln und Taschen hervorzauberte, murmelte sie dunkel, aber durchaus amüsiert: "Und bei dir eher verbrennen!"
Nein, da überließ sie nichts dem Zufall, nicht wenn es um ihre Zwischenmahlzeit ging.
"Dafür werden wir dann beide gestärkt genug sein, um auch den Tunnel vorzubereiten."

[Allegra Dominguez]

cf: Hochplateau

"Keine Sorge, ich kenne meine Grenzen", erwiderte Allegra lächelnd, während sie Mays Sachen vorsichtig abstellte. In Gedanken war sie bei Javier, dem sie beim Hereinkommen begegnet waren und der sich (natürlich erst, nachdem er seine Tante angemessen begrüßt hatte) gleich auf den Weg in den Dschungel gemacht hatte. Die Tempelwächter kannten sich recht gut im Dschungel aus - soweit man sich denn in einem Urwald auskennen konnte. Unter Umständen wäre ihnen auch möglich, etwas zu finden, was Allegra oder May übersehen würden.
Allegra hängte ihren Strohhut an einem Stuhl auf und setzte sich auf einen anderen, weit genug von May entfernt, um sie weder am Schalten und Walten zu hindern, noch auch nur durch Zufall negativen Einfluss aufs Essen zu haben, doch nah genug, um sich mit ihr in gedämpftem Ton unterhalten zu können. Zwar bestand die Gefahr, dass sie jemand belauschen würde, hier nicht, aber Allegra sprach nie gern lauter als nötig, wenn sie sich in einem der Tempel bewegte.
"Diese Fremden, die du spürst..." Sie befeuchtete sich ihre Lippen, zog ein Knie an und runzelte die Stirn. "Denkst du, wir sollten die Tempelwächter bitten, nach ihnen Ausschau zu halten? Javier war auch sicher, etwas gespürt zu haben, und so kurz vor Vollmond..."

[May Comida]

May machte sich sogleich an die Küchenarbeit heran und brachte klappernd und klirrend Töpfe, Schälchen und Geschirr zu Tage.
Kochen war ja nun Lieblingsbeschäftigung. Und dazu gehörte es, möglichst viel zu benutzen. Beim Kochen durfte man nicht sparen. - Vorausgesetzt man hatte eine Spülmaschine, oder einen Spülmenschen. Denn Abwaschen - ein Graus! Furchtbar, die ganzen Runzeln auf den Fingern und wie sich die Haut dann anfühlte - furchtbar. Nur gut, dass Javier versprochen hatte abzuspülen, vorausgesetzt sie ließ ihm was übrig. Das sollte kein Problem sein. Und es war auch nicht ihres, wenn das Geschirr noch ein wenig länger herumstehen würde. Das störte sie nicht.
Apropos Javier. May nickte bedächtig. "Das würde ich sagen. Ja. Ich habe nicht das Gefühl, dass sie nah dran sind. Die Fremden. Aber.." Sie drehte sich zu Allegra um und bedachte sie mit einem besorgten Blick. "Wir dürfen uns da keine Fehler erlauben."
May hob ihren Zeigefinger und schüttelte den verneinend, dass die Armreifen nur so klirrten. "Die werden uns nicht aufspüren." Ganz gleich, ob die Fremden das überhaupt wollten.

[Allegra Dominguez]

Ein bisschen schwer fiel es Allegra ja schon, nichtstuend zuzusehen, wie May hantierte. Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie vielleicht geglaubt, dass es ja nicht schaden könnte, ihr hier oder dort zur Hand zu gehen, aber ihr schwarzer Daumen schien ansteckend zu sein - oder der Placebo-Effekt war einfach enorm: Hatte sie einmal etwas Essbares im Rohzustand gebührt, vermeinte sie immer, ein bisschen Brandgeschmack auf der Zunge zu spüren, selbst wenn jemand anderes es zubereitet zu hatte.
"Wenn sie weder im Dorf noch am Handelsposten sind, wird es ihnen überhaupt schwer fallen, uns zu finden." Allegra runzelte die Stirn. Sie sollte allerdings nachher auch noch einmal die Schutzrunen verstärken, die ihre Entdeckung aus der Luft erschweren sollten. So kurz vor Vollmond war ihre Magie natürlich schwächer, und ein tieffliegendes Flugzeug könnte dann eine Bedrohung sein. Aber würden sie ein Flugzeug spüren, das noch gar nicht in der Nähe ist? "Erwartet denn jemand im Dorf Besuch?" Wenn, dann würde May es doch sicher erfahren haben!

[May Comida]

"Nein." May schüttelte energisch ihren Kopf. "Davon hätte ich gewusst." Und hätte sie es nicht bekommen, hätte es ihr Tilly auf die Nase gebunden. Was war nur los mit dieser Frau? Watschelte völlig außer Atem in ihr Haus, nur um zu zeigen, dass sie den größeren Kochlöffel in der Gerüchteküche hatte. Pfft. Dadurch kam sie doch nur besser an ihre Informationen.
Kraftvoll holte May den Topf von der Kochstelle, stellte zwei Teller heran und tat mit einer Schöpfkelle zwei ordentliche Portionen auf.
"Wobei.." May drehte sich mit Schöpfkelle spontan zu Allegra um. "Hatte ich dir schon erzählt, dass seit Wochen so 'n blonder Amerikaner durch Atempo mit seinem Drahtesel strampelt und in den Dschungel läuft?" Ihre freie Hand flatterte wie aufgeschreckt in der Luft. "Er arbeitet für Miss Ruby, heute sollte auch Teo anlegen."
Nachdenklich legte sie ihre Stirn in Falten. "Vielleicht stolpert er über irgendwas.." Sie zuckte unentschlossen mit den Schultern. "Wobei ich gedacht hätte, dass ich ihn vom Gefühl her erkennen würde."
Sie schüttelte, wie um die Gedanken zu vertreiben, ihren Kopf, ließ die Schöpfkelle in den Topf gleiten, schnappte sich die zwei Teller und gesellte sich zu Allegra.

[Allegra Dominguez]

"Nein, das hattest du nicht." Allegra zog die Brauen zusammen, bis sie eine gerade Linie bildeten, und neigte sich instinktiv zurück, als Mays Schöpflöffel durch die Luft sauste - auch wenn sie sie damit kaum treffen würde; wusste man denn, wie weit so was spritzen konnte? Allegra wartete insgeheim immer noch darauf, dass die Nahrung damit begann, sich an ihr für all die Brandopfer zu rächen.
Beunruhigender als der sowieso nicht ernsthaft zu erwartende Rachefeldzug der Lebensmittel war allerdings der blonde Amerikaner. Die Chance, dass er bei seinen Fahrradtouren oder Wanderausflügen auf etwas stieß, war natürlich gering; nicht einmal jene Nicht-Selenisten aus Atempo, die regelmäßiger in den Dschungel gingen, hatten je geargwohnt, dass es in ihrer Nachbarschaft noch Menschen geben konnte - es war ja auch nun gerade keine Nachbarschaft Tür an Tür! Aber wenn ihm doch etwas aufgefallen?
Allegra lächelte unwillkürlich, als sie die großzügige Portionengröße sah, die May ihr zutraute. Hoffentlich nahm sie es nicht falsch auf, wenn Allegra den Teller nicht ratzeputzekahl essen konnte.
"Die Frage wäre, ob die Zeiten unserer Vorahnungen mit der Ankunft des Amerikaners überein stimmen - denn warum sollten sie erst jetzt beginnen, wenn er uns in Gefahr brächte?" Allegra griff nach dem Besteck. "Oder vielleicht bringt Teo Besuch für den Amerikaner?" In ein paar Tagen würden sie sie selbst fragen können - aber konnten sie so lange warten?

[May Comida]

"Nun.." Sie ließ sich neben Allegra nieder und platzierte die Teller auf dem Tisch, bevor sie ein paar unsichtbare Krumen von eben diesem mit einer Handbewegung wegwedelte.
"Er ist schon länger da, die Vorahnung habe ich noch nicht so lange. Vielleicht ist es Besuch.. Da magst du Recht haben." Sie bedachte Allegra mit einem ernsthaften Blick. "Aber das Spekulieren bringt uns nun auch nicht mehr weiter. Ich weiß es einfach nicht. Und es steht nun leider nicht im Himmel geschrieben." Und falls doch, sollten sich die Selen um eine bessere Handschrift bemühen. Ts!
"Also.." Sie tauchte ihren Löffel in den Teller ein. "Was können wir bezüglich der Vorahnungen unternehmen?"

[Allegra Dominguez]

Allegra schnupperte und schenkte May ein angemessenes Lächeln, als der Duft des Essens ihr in die Nase stieg. "Es riecht phantastisch, May", lobte sie und griff ebenfalls nach ihrem Besteck. Zu dumm, dass es nicht so einfach war, eine Antwort auf ihre Fragen zu bekommen, wie auf die Frage, ob es ebenso gut schmecken würde, wie es roch.
"Wenn die Tempelwächter zurück sind, werden wir erst einmal besprechen, wie wir die Vorbereitungen und die Suche nach einer Bedrohung unter einen Hut bekommen." Allegra runzelte die Stirn. Das eine durfte des anderen wegen nicht vernachlässigt werden; das erforderte also eine gewisse Organisation, aber das sollte das geringste Problem sein!
"Ansonsten können wir versuchen, gemeinsam zu meditieren." Zweifelnd blickte sie May an. Zumindest Allegra war keine Meisterin in der Kunst der Visionen, sondern darin eher schwach; aber die Kräfte der Selenisten wurden durch die Gemeinschaft gestärkt. Wenn sie zu zweit oder zu fünft - je nachdem, ob sie die Tempelwächter mit ins Boot holten oder nicht - versuchen würden, die Träume und Vorahnungen zu erkunden, war ihnen das Glück vielleicht holder.