Hinterdeck

[Teo Howard]

cf: letzter Tag

Nachdenklich lehnte Teo an der Reling und blickte zur Gangway, über die ein paar Passagiere die Caminante betraten. Sobald jemand in ihre Richtung blickte, grinste sie und tippte sich grüßend an die Stirn, denn die meisten Menschen, die von San Palabra nach Atempo wollten, kannte sie - sogar zweifach. Natürlich besuchten ab und an tatsächlich Verwandte die Dörfler, aber Teo war sich doch recht sicht, dass der ein oder andere ihrer Passagiere zwar den Pfad zum Dorf einschlagen, aber nie in Atempo ankommen würde, wer er sich vorher in den Dschungel schlug oder spätestens an der Brücke über die Laete abbog, um den Weg zu nehmen, den sie auch spätestens morgen Vormittag nehmen würde: den Fluss hinauf bis zum Wasserfall, da dann abbiegen und den Zeichen folgen, bis sie die Schlucht erreichte, von wo der Tunnel zur achten Königin führte, und dann war es nur noch ein kurzer Fußmarsch bis zum Fuß des Tempels.

Sie warf einen Blick über ihre Schulter zum Motor, ihrem Herzstück an Bord. Vermutlich würde sie einen kleinen Motorschaden fingieren müssen, wenn sie heute auf dem Rückweg waren. Sie hatte schon öfter allein die Stellung an Bord gehalten, um das Ding zu reparieren - manchmal hatte sie auch Onkel James in der Zwischenzeit losgeschickt, irgendein Ersatzteil zu besorgen, für das er in die nächste Stadt musste. Damit war er immer einen Tag unterwegs, und während Colin dann den Hafen unsicher machte, konnte sie mit der Caminante weiter in die Bucht tuckern. Oder sie meldete sich heute auf der Rückfahrt krank (Frauenprobleme, da fragte Onkel James nie nach, und Colin schon mal gar nicht) und brach schon in der Nacht auf. Noch hatte sie niemandem versprochen, ihn oder sie mitzunehmen... Nun, sie hatte noch ein bisschen Zeit, um sich zu entscheiden.

[James Howard]

c.f. letzter Tag

'Komm schon Käpt'n. Schlückchen in den Kaffee.' Grinsend begrüßte er die ersten Passagiere, die über die leicht schwankende Gangway auf die Caminante balancierten. Voll war der Kahn bei weitem nicht, aber zusammen mit der Post und einigen anderen Frachtgütern war der Umsatz nicht schlecht und James gut gelaunt. Wie immer, wenn die Kassen klingelten.
"Nicht vor'm Frühstück. Wenn du vom Morgenschnaps wegkommen willst, solltest du dir nicht so eine Xanthippe ins Schlafzimmer holen." Colin streckte seinem Rücken die Zunge raus und verkrümelte sich Steuerraum. Vermutlich um dort doch ein Schüsschen Rum in den Kaffee zu kippen, was wusste er denn.
Er tippte sich zum Gruß an die Kappe, als er einen der Gäste passierte und lehnte sich dann neber seiner Nichte an die Reling.
"Was ziehst'n du für ein Gesicht? Lächeln Kind, die Sonne scheint, das Abendessen ist verdient, es ist noch nichtmal Mittag und Colin kann noch gradeaus gehen. Alles in allem ein positiver Start in den Tag."

[Teo Howard]

"Das sagst du so leicht." Teo seufzte abgrundtief, blinzelte zu ihrem Onkel und stützte danach schwer das Kinn auf ihrer Hand ab. Manchmal bedauerte sie fast, dank ihrer Arbeit über viele Dinge bescheid zu wissen, die anderen Selenisten verborgen blieben. Sie wollte auch unbeschwert zum Ritual fahren dürfen, ohne sich Gedanken um die Gringos zu machen! Aber da sie das James kaum auf die Nase binden konnte, musste sie nun wohl wirklich etwas anderes aus dem Hut zaubern, was ihre Laune senken könnten. "Aber ich hab da so ein blödes Ziehen im Rücken. Und außerdem", noch einmal seufzte Teo, sehr viel theatralischer als zuvor, "außerdem verliere ich mein Talent für neue Passagiere. Da hab ich gestern doch einen Gringo angesprochen, und der ist immer noch nicht aufgetaucht? Ist das zu fassen?"
Mal ganz abgesehen von den entgangenen Dollars für die Überfahrt war das vor allem auch deshalb ärgerlich, weil der Gringo schließlich auch nach Atempo gewollt hatte! Na, vielleicht hatte er es sich schlicht anders überlegt. Oder jemand hatte ihm genug Gruselgeschichten über das beste Schiff der Welt erzählt, dass er noch gegen seine Ängste kämpfte. Er würde doch kaum so blöd sein, zu Fuß in den Dschungel....

[James Howard]

"Ziehen im Rücken? Frag mal Colin, der hat da garantiert ein Schnäpschen gegen." Teos leichter Anflug von Drama belustigte ihn irgendwie. Nahm er sie ernst? Nicht wirklich, nein. Seine Nichte jammerte selten bis gar nicht, wenn wirklich mal irgendetwas Bedenkliches passiert war, weswegen er die Seufzerei auf Effekthascherei schob und immer noch fröhlich vor sich hinschmunzelte, während sie weiter lamentierte.
"Bis zum Ablegen sind's ja noch ein paar Minuten, vielleicht taucht dein Gringo noch auf. Auch wenn's langsam gruselig wird, wie viele von denen in letzter Zeit eine Überfahrt buchen. Feiern die in Atempo irgendwas?" Selig sind die geistig Armen, oder so. Woher sollte Käpt'n Howard auch wissen, was seiner Nichte solche Sorgen bereitete? Er glaubte nur hin und wieder an irgendwelche Götter. Meistens dann, wenn die Clams mal wieder ein Spiel verloren und es eventuell hilfreich sein könnte, ein Stoßgebet gen Himmel zu schicken.

[Teo Howard]

"Nee, ich denke, das ist eher ein monatliches Problem, gegen das kein Schnaps helfen kann", grinste Teo. Schließlich konnte es nicht schaden, diverse Möglichkeiten für die Tarnung vorzubereiten - und sei es nur, um morgen ungestört krank feiern zu können.
Nachdenklich glitten die Finger von Teos freier Hand innen über die Bordwand und klopfte bisweilen einen kleinen Rhythmus. "Von einer Fete in Atempo hat mir keiner was erzählt, also können wir das ganz sicher ausschließen." Und das war nicht mal gelogen, denn die Feier war ja nicht in Atempo. "Wir sollten das jedenfalls nicht den Stadtrat wissen lassen, sonst basteln die aus unserer netten kleinen Stadt noch im Handumdrehen eine Touristenmetropole. Wer weiß, welche Infos in den Reisebüros neuerdings über uns kursieren!" Sie blinzelte. "Wie soll das erst werden, wenn der Flughafen fertig ist!" Also ungefähr an dem Tag, an dem Ostern und Weihnachten auf Pfingsten fielen und die Selenen dazu eingeladen wurden.

[James Howard]

"Ah. So'n Problem."
Sobald die Worte 'monatlich' und 'Problem' in einem Satz vorkamen wusste er, dass es Zeit war sich zurückzuziehen. Den ganzen Frauenkrempel hatte er noch nie so wirklich verstanden aber jeder Mann, der schon einmal in einer längerfristigen Beziehung oder gar verheiratet war, markierte diese Zeit irgendwie im Kalender und verbrachte für eine Woche viele, viele Stunden in der örtlichen Kneipe. Zumindest wenn ihm seine Gesundheit lieb war.
"Hm, du meinst der Flughafen der eigentlich schon seit drei Jahren fertig sein sollte?" Im Leben nicht. Bevor Atempo zur Touristenmetropole wurde, fror die Boccacciobucht ein. Himmel, er würde sogar eher nochmal heiraten bevor das passierte und Hochzeitsglocken waren die musikalische Untermalung seiner schlimmsten Alpträume. "Sollen wir noch ein bisschen auf deinen Gringo warten? Wenn den Passagieren langweilig wird kann Colin sie ja wieder mit seiner Ziehharmonika belästigen und so tun als gehöre das zum Reisepaket dazu."

[Teo Howard]

"He, wir kennen die meisten dieser Leute, das können wir ihnen nicht antun!", protestierte Teo und richtete sich ruckartig auf. Zumal dann, wenn Colin doch schon einen mehr gelüpft hatte, als gut für ihn war, und die Lieder anstimmte, die man wenn überhaupt in kleiner geschlossener Gesellschaft und nicht in einem modernen... äh, also in einem florierenden.. also nichts, was man auf einem öffentlichen Verkehrsmittel singen sollte, wenn man Wert darauf legte, dass einen keiner bei der Polizei anzeigte. "Du solltst dein Monopol nicht ausnutzen, Käpt'n Howard", ermahnte sie ihn in übertrieben moralischer Attitüde. "Das siebzehnte Gebot, jawohl!" Natürlich war diese Sache mit den Geboten etwas, was Teo nicht so wirklich verfolgte, aber sie kannte sie - Schulunterricht und vor allem eine Menge moralinsaurer Predigten seit der Kindheit prägten. Wären sie alle Selenisten, wäre da doch vieles einfacher!

[James Howard]

"Och, ist doch meistens recht unterhaltsam, das Gedudel." Er grinste wie ein Schuljunge an Weihnachten. Unterhaltsam ja, aber definitiv nicht für die Ohren von Kindern gedacht. Colin gestikulierte irgendwas halbwegs unhöfliches aus dem Steuerraum hinüber und James war sich halbwegs sicher, dass ihr Steuermann sie gehört hatte. Besoffen wie ein ordentlicher Seebär, aber ein Gehör hatte der Kerl, das war schon nicht mehr feierlich.
"Also seh ich das richtig und du willst nicht auf den Gringo warten?"

[Teo Howard]

Ja, so sprach einer, der auch Baseball für total spannend hielt...
"Das siehst du genau richtig." Teo nickte bekräftigend. Ein Gringo weniger, der zu dieser Zeit durch den Dschungel lief - also in ihren Ohren klang das ganz wunderbar!
"Mal ehrlich: Wenn er so doof ist, sich eine Fahrt mit unserer Senorita hier entgehen zu lassen, dann ist er selbst schuld. Es wird ihn lehren, sich zuviel Zeit zu lassen! Und", fügte sie zwinkernd hinzu, "es macht ihn gleichzeitig zu einem potentiellen Passagier für morgen. Machen wir also der Caminante Feuer im Kessel." Und dann sollte sie mal eine Münze werfen, wie sie dem Gringo die Fahrt morgen auch noch vermasselte... vielleicht doch ein Motorschaden?

[James Howard]

"Na dann!"
Wirklich schade um den Verlust des Gringos, war es ihm auch nicht. Sicher, jeder Passagier der Geld einbrachte war ein gern gesehener Passagier und der Käpt'n empfing generell jeden zahlenden Reisenden mit offenen Armen. Aber in den letzten Tagen waren die Städter und Ausländer doch in Scharen in San Palabra gelandet und langsam fragte er sich wirklich wieso. Für Einheimische war diese Ecke vermutlich das Paradies auf Erden, aber worin der Reiz für Touristen lag, erschloss sich ihm irgendwie nicht. Vor allem weil von den Behörden drüben in Atempo sowieso alles verboten war. Er wartete immer noch auf den Tag, an dem man eine Genehmigung fürs Atmen brauchte.
Der Motor der Caminante sprang mit einem Stottern an und das bedeutete eigentlich nur eins. "Käffchen?"