Hinterdeck

[Teo Howard]

Teo blickte Miguel nur wortlos an. Wenn sie so weitersponnen, würden sie am Ende noch einander für mögliche Spione halten, die nur deshalb so taten, als wollten sie das Rad des Mondes vor der Expedition schützen, um dafür zu sorgen, dass niemand anderes es mehr tat, damit sie dann versuchen konnten, die Fremden dorthin zu führen, nur um das wiederum dann selbst zu verhindern. Und wem dann der Kopf noch nicht rauchte, der stieß ihn auch gern gegen Baumstämme!
Unwohl verzog sie das Gesicht. "Ich würde ja glatt das mit dem Warnen übernehmen - aber ich finde den Weg nie im Leben. Nicht ohne den Sand." Und war der Tunnel von der Schlucht aus nicht normalerweise versperrt?
Teo kratzte sich am Kinn. Sie würde ja im Gegenzug vorschlagen, dass sie sich anheuern ließ, aber sie konnte ja schlecht Colin ganz allein mit der Caminante losschicken, und sie hatte ja auch gar nichts mit; das ging also auch nur schwer.
Ihr Blick blieb an dem eingepackten Gummiboot hängen, und ein leichtes Lächeln huschte über ihre Züge. "Wir könnten sie aber sicher erstmal ein wenig aufhalten. Sie fangen doch sicher auf der Laete an, und solange sie den Fluss entlanglaufen, kann man sie ja jederzeit einholen." Man musste ja nur mit einem Einboot flussabwärts fahren, bis man sie sah. "Wie lange brauchst du denn bis zum Tempel und zurück?"

[Miguel Bolivar]

Das war eben das Problem: Vielzuviele würden den Weg nicht finden, wenn sie, die Tempelwächter, ihn nicht vorbereiteten. Er konnte es sich nicht erlauben, seine Pflichten zu vernachlässigen. Aber er konnte auch nicht einfach nichts tun. "Die meisten haben sich noch nicht auf den Weg gemacht, wir könnten sie warnen, bevor sie aufbrechen." Entscheidend war allerdings die Priesterinnen zu informieren, sie würden letztlich entscheiden müssen, wie man mit dieser Bedrohung am besten umging. Und von denen waren bestimmt schon einige auf dem Weg zum Tempel.

Dann folgte Miguel Teos Blick auf das Gummiboot. "Guter Plan", er nickte. Diese Art von Sabotage war ein Grund mehr, dass jemand, der Bescheid wusste, bei der Expedition dabei war. Die Frage war, ob sie sich darauf verlassen konnten, dass Delia das tatsächlich hinkriegte, mal davon ausgehend, dass sie wirklich zu sowas bereit war. Er schüttelte den Kopf. "Zu lange und ich habe auch viel zu viele Verpflichtungen, wenn ich dann mal dort bin." Nein, sie mussten einen Weg finden, die Expedition so lange zu verzögern, bis die Zeremonien vorbei waren - danach konnten sie sich dann in Ruhe darum kümmern, dass sie den Tempel nicht nur nicht fanden, sondern sogar glaubten, sie hätten sich geirrt, und es gebe hier gar nichts. Das war der einzige Weg.

[Teo Howard]

"Und wie?" Zweifelnd sah Teo Miguel an. Klar, sie kannte ein paar - wenn man sich gemeinsam auf den Weg machte, blieb es nicht aus, dass selbst Verhüllte wussten, wer der andere war. Von denen aber, die sie nicht ein Stück des Weges mitnahm, kannte sie manchmal die Augen und die Stimme, manchmal auch den Namen, aber wo sie lebten? Allerdings konnte es natürlich sein, dass Miguel da mehr Wissen hatte. Aber selbst wenn.. "Und selbst wenn wir sie warnen: In fünf Tagen ist Vollmond. Da müssen wir da sein - oder?" Ob es irgendwelche geheimen Rituale gab, die die Priesterinnen machen konnten oder die Tempelwächter? Sie mochte es, wenn sie dieses leichte Kribbeln in den Fingerspitzen und im Nacken spürte, weil die Magie in ihr durch das Ritual wieder stärker wurde. Sie hatte schon oft versucht, diese Magie auch anzuwenden, und stellte sich vor, wie cool es wäre, zum Beispiel eine Welle über den Kai schwappen zu lassen, wenn da gerade ein blödes Arschloch herspazierte - gut, das funktionierte nie, konnte auch gar nicht, aber die Vorstellung machte Spaß. Oder wie cool es wäre, unliebsame Rechnungen mit einem Zwinkern in Asche zu verwandeln. Nun, sie würde das Kribbeln vermissen, aber es gab einige Verhüllte, die ab und an ein Ritual auslassen mussten, weil sie sich nicht unauffällig loseisen konnten, krank waren oder sich um jemanden kümmern mussten, und keiner von denen war je daran gestorben. Aber das Ritual abzusagen - das würde doch nicht gehen! Es würde doch nur die Furien stärken, die Schatten...
Ohne hinzusehen zückte Teo derweil einen Schlitzschraubendreher, der in einer ihrer Seitentaschen gesteckt hatte, und suchte mit den Fingern in der Packung des Gummiboots nach einer Stelle, wo sie Platz genug haben würde, den Schraubendreher hineinzustoßen. Ein Schaden beim Transport - konnte ja mal vorkommen.

[Miguel Bolivar]

Tja, das war in der Tat die Frage. Miguel war nicht der grosse Planer oder Stratege. Er war ein Fischer und Tempelwächter, das war alles. Entscheidungen trafen andere, erst recht die von solcher Tragweite. Er war es gewohnt, Anweisungen zu folgen, nicht welche zu geben. "Ich... ich weiss es nicht." Teo hatte natürlich recht: Er musste bei Vollmond beim Tempel sein, und eben nicht nur das: Er musste den Weg vorbereiten, damit andere ihn überhaupt fanden. Auf der anderen Seite war dies eine ausserordentliche Situation. "Ich könnte dir sagen, wo du ein paar der anderen findest, du könntest sie informieren, was los ist und dass sie meine Arbeit mitübernehmen sollen. Ich heure hier als Träger an, versuche alles zu tun, was ich kann, um es den Gringos so schwer wie möglich zu machen, entweder mit oder ohne Delias Hilfe." Das war eine ziemlich wilde und gewagte Idee, aber es war das beste, was ihm so auf die Schnelle einfiel. Allerdings würde er es dann kaum rechtzeitig zum Tempel schaffen.

Miguels Blick folgte Teos Hand mit dem Schraubenzieher. Ob das unauffällig genug war? Aber er musste zugeben, dass ihm nun so spontan auch nichts besseres einfiel. "Was wenn sie uns beschuldigen, dass wir den Schaden verursacht haben... immerhin haben wir das Gummiboot ja entladen", wisperte er dennoch besorgt. "Wenn sie uns von Anfang an in Verdacht haben unzuverlässig zu sein, werden sie mich niemals anheuern." So er diesen wahnwitzigen Plan überhaupt in die Tat umsetzen würde. Aber was war die Alternative?

[Teo Howard]

"Was sollen sie machen? Den ganzen Kram alleine schleppen?" Teo grinste sorglos, denn in diesem Punkt hatte sie wirklich keine Befürchtungen. Sie befanden sich im Dschungel, in ganz Atempo lebte vielleicht eine Handvoll Leute, die als Träger in Frage kamen und sich dazu herabließen, statt ihrer eigentlichen Arbeit nachzugehen ein paar Städtern das Gepäck durch den Dschungel zu tragen. Da gab es gar nicht all zu viel Konkurrenz, als dass die Expeditionsleiter wählerisch werden könnten. Zumal ja auch welche von denen, die als Träger in Frage kamen, sicher Selenisten waren. "Ansonsten: Schieb's auf mich."
Teo ließ den Schraubendreher in den Schlitz fahren und stach ein paar Mal kräftig zu; hoffentlich reichte das überhaupt, um der Hülle Schaden zuzufügen! Vielleicht rutschte die Kante auch nur immer wieder von der Oberfläche ab und hinterließ nicht einmal einen Kratzer. Aber sie musste es wenigstens probieren.
Nachdenklich runzelte sie die Stirn. "Kannst du die nicht einfach erst mal alle mit ins Dorf nehmen? Irgendein Grund findet sich doch sicher." Und genauso sicher fanden sich Selenisten im Dorf, die vielleicht fitter darin waren, den Tempel zu finden. Zum Beispiel die Priesterin..
Teo befeuchtete sich die Lippen. "Ich muss schließlich nach San Palabra zurück; selbst wenn ich den Motor sabotiere, wird Colin mich dazu verdonnern, das Ding wieder zu reparieren, und mich nicht durch die Gegend ziehen lassen." Entschuldigend zuckte Teo mit den Achseln, während sie den Schraubenzieher wieder in der Tasche verschwinden ließ, als wäre nichts gewesen. "Zumal ich auch die Fahrt in fünf Tagen organisieren muss. Es - bleibt doch dabei?" Besorgt sah sie Miguel an. Es würde doch nicht damit enden, dass sie das Ritual tatsächlich abbliesen!?

[Miguel Bolivar]

Miguel schaute mit grossen Augen zu, wie Teo mit dem Schraubenzieher auf das Schlauchboot einstach und blickte sich nervös um, ob auch keiner der Gringos plötzlich auftauchte und sie bei ihrem Tun ertappte. Immerhin wisperten sie hier schon ein ganzes Weilchen, könnte ja sein, dass sich jemand wunderte. Aber da war niemand. Und Teo redete drauflos, während sie das Schlauchboot durchlöcherte.

Der junge Fischer nickte nachdenklich und zustimmend. Vermutlich war das wirklich der beste Plan. Die Gruppe ins Dorf mitnehmen, weil sie ja eh Träger anheuern wollten - und wo sonst, wenn nicht im Dorf? Dabei bekamen dann auch ALLE mit, dass Fremde hier waren und eine Expedition machen wollten. Dass es um die Selenisten ging, konnte er dann ja unauffällig weiterverbreiten, und schon wussten es schon mal die meisten, die es wissen sollten. Dann musste er nur noch klären, wie er sich selbst aus seinen Verpflichtungen beim Tempel rausmanövrierte, damit er sich als Träger anheuern lassen konnte. Aber da liess sich schon ein Weg finden.

"Okay, machen wir es so. Ich nehme sie mit ins Dorf, dann werden sich ihre Pläne kaum lange geheim halten lassen." Miguel beobachtete, wie Teo den Schraubenzieher wieder verschwinden liess und zuckte mit den Schultern. Er konnte sich nicht erinnern, dass ein Ritual jemals abgesagt worden war. Selbst bei dem grossen Sturm vor zwei Jahren damals, hatten sich alle zum Tempel begeben, obwohl das für einige ernstlich gefährlich gewesen war. "Kann mir nichts anderes vorstellen", murmelte er. Wenn, war es Sache der Priesterinnen, das Ritual abzusagen, und die ahnten noch nicht mal, was da auf sie zukam. Plötzlich verspürte Miguel eine gewisse Dringlichkeit und packte nun zwei der grossen Kisten. "Legen wir los?" Er sah sie fragend an. Vielleicht hatte sie ja noch mehr Informationen, die er wissen sollte, bevor sie sich wieder unter die Gringos begaben.

[Teo Howard]

Es war seltsam, aber obwohl das kurze Gespräch sicher nicht dafür gesorgt hatte, die Expedition in Wohlgefallen aufzulösen, oder dafür, dass sie nun einen Plan hätten, fühlte sich Teo doch schon wesentlich erleichterter. Sie würden es schon irgendwie zu verhindern wissen, dass die Expedition das Ritual gefährdete oder Dinge erfuhr, die sie nicht erfahren sollte. Vielleicht blieben die noch ein paar Wochen im Dschungel, aber wenn das Ritual erst mal gelaufen war, konnten Miguel und die übrigen Tempelwachen sicher mit Leichtigkeit dafür sorgen, dass sie immer an der falschen Stelle suchten, weit weg vom Rad des Mondes, weg von den ewigen Steinen, weg von den Schatten.
Teo runzelte für einen kurzen Moment die Stirn. War es wohl nötig, die Expedition vor den Schatten zu schützen? Aber wenn Miguel sich ihnen anschloss, würde er ja sicher merken, wenn ein Schatten Sebastíen oder einem der anderen zu nahe kam. Und Delia war ja auch noch dabei, da konnte ja eigentlich nichts schief gehen. Also hoffentlich.
Ihre Hand glitt unwillkürlich zu dem kleinen runden Anhänger, den sie um den Hals trug; ein Talisman, wie man ihn an unzähligen Ständen im ganzen Land kaufen konnte, doch anders als der meiste andere Kram war der hier schon auf so manchem Ritual gewesen und würde tatsächliche Wirkung gegen Schatten haben. Und auf der Caminante war sie ja eigentlich sicher..
Entschlossen packte Teo sich eine der Kisten und nickte Miguel mit einem Grinsen zu. "Packen wir's an. Je eher wir das Zeug vom Schiff haben, um so schneller seid ihr im Dorf." Sie beugte sich kurz in seine Richtung und fügte wispernd hinzu: "Und vielleicht verderben sie sich ja den Magen an Miss Rubys Essen und sind für ein paar Tage außer Gefecht." Schlechtes Image für Miss Rubys eigentlich gute Küche - wenn es denn mal was zu essen gab - aber das war sicher ein Preis, mit dem sie leben konnte.

[Miguel Bolivar]

Miguel kicherte bei der Vorstellung, dass der ganze Trupp tagelang wegen Montezumas Rache aus Rubys Töpfen im Dorf festhängen könnte. Das wäre ja fast schon die eleganteste Lösung! "Ich werde mal ein paar Takte mit Ruby reden", erklärte er grinsend, wenn auch nicht ganz ernst gemeint.

Auch der junge Fischer fühlte sich etwas besser, nachdem nun der erste Schock verdaut war und sie ein paar Szenarien durchdacht hatten. Irgendeine Lösung fand sich bestimmt. Und wenn erst mal die Priesterinnen erfuhren, was Sache war, konnten sie sicherlich auch noch Einfluss nehmen. Notfalls konnten die ihnen vielleicht sogar ein paar Schatten auf den Hals hetzen. Das mochte zwar eine drastische Massnahme sein, aber letztlich musste der Tempel um jeden Preis geschützt werden.

Beherzt griff er nun also nach einer grossen Kiste und schleppte sie Richtung Vorderdeck und Steg. Nach ein paar weiteren Runden war das ganze Material des Expedition entladen.

tbc Handelsposten / Frachtunterstand

[Teo Howard]

Grinsend folgte Teo Miguel. Wenn Miss Ruby nicht wusste, was man so für durchschlagende Erfolge in einen Eintopf mischen konnte, wusste es vermutlich niemand. Und das ließe sich doch sicher mit ihrem Wunsch vereinbaren, Leben zu schützen. Wenn die Gringos dann nicht trotz ihrer Probleme kopflos in den Dschungel stolperten und dort elendig krepierten, konnten sie doch zumindest die Gastfreundschaft Atempos genießen. Wobei Teo sich nicht sicher war, ob da nicht ein bisschen Durchfall und Krepieren im Dschungel vorzuziehen waren.
Zwar hoffte Teo, dass sich ihnen noch andere beim Ausladen anschließen würden, aber der Anblick eines Garcias, der direkt an der Reling auf den Professor wartete, erinnerte Teo wieder daran, dass es doch Situationen gab, in denen man einfach selbst alles in die Hand nehmen musste, weil die Welt dafür zu beschäftigt war.
Sie schlug ganz selbstverständlich den Weg zum Frachtunterstand ein, auch wenn sie erst überlegt hatte, das Zeug einfach auf dem Steg abzustellen. Aber wenn niemand da war, der die Fracht direkt entgegen nahm, kamen die Sache immer in den Unterstand. Regelmäßigkeiten zahlten sich einfach aus.

tbc: Handelsposten/Frachtunterstand

[Narracion]