Steg

[Sofia Pereira]

Interessiert belauschte und beobachtete Sophia das Gespräch zwischen den beiden Männern. Von dessen Ausgang war sie eben so überrascht, wie Garcia scheinbar unzufrieden. Sie hatte ehrlich nicht erwartet, daß es so glimpflich verlaufen und Adam davon kommen würde, ohne wenigstens einen kleinen Obolus zu entrichten. Ohne seine Papiere näher in Augenschein genommen zu haben, vermutete sie, daß diese der Grund dafür waren. Wahrscheinlich hatte er sämtliche Bescheinungen gefälscht, die er für irgendetwas brauchte. Und diejenigen, die er nicht brauchte, gleich noch dazu. Nur zur Sicherheit. Die junge Frau war ehrlich beeindruckt- auch wenn sie Adam das so niemals gesagt hätte. Man mußte seinen Zwang alles auch noch bis ins letzte Detail zu planen ihrer Meinung nach nicht auch noch fördern, in dem man ihn lobte. Trotzdem, die gewissenhafte Genauigkeit mit der er arbeitete mußt sie neidlos an erkennen. Allerdings nur dann, wenn er diesmal ein wenig kreativer geworden war und die beiden Herren der Schöpfung sich in Sophias Abwesenheit nicht wieder auf die alte Journalist und Fotograf- Story eingeschossen hatten. Die Geschichte war so unfassbar alt und eingestaubt, daß Sophia befürchtete, sie nicht noch einmal durch zuhalten, ohne den beiden mit zuteilen, daß Adam ein ganz furchtbarer Fotograf war und das selbst dann, wenn er nur so tat als würde er Fotos machen und der Dritte im Bunde weit davon entfernt den Pulitzer-Preis zu gewinnen. Genau genommen schrieb er, wie er sprach; geschwollen, überzogen und sich selbst gerne zuhörend. Ganz furchtbare Angewohnheit. Das eigentlich wirklich deprimierende daran war, daß es funktionierte. Sophia hatte keine Ahnung wie und konnte über so viel Einfältigkeit auch nur mit dem Kopf schütteln, aber es klappte. Wieder und immer wieder.
Sie wartete geduldig im Boot, bis Adam endlich so weit war und hoffte inständig, daß sie nun ohne weitere Zwischenfälle ins Dorf zurück kehren konnten und das vor allem Adam die Bootsfahrt für sie beide nicht zu einem unvergesslichen Erlebnis machen würde, in dem er sich panisch irgendwo festklammerte, aus Trotz die Ruder von sich schmiss oder sie beide zum Kentern brachte. Zugetraut hätte die junge Frau ihm so ziemlich alles.

[Garcia Blanco]

"M-hmm", brummte Garcia kurz angebunden. Hatte er doch gleich gewusst - wenn ein Haufen Gringos hier auftupfte, von denen gerade einer nicht mit allen Unterlagen gesegnet war, dann hockten die auch alle im selben Boot. Kurz warf er einen abschätzigen Blick hinunter auf Sofia. Die gehörte sicher auch zu der Bande. Bah. Da waren ihm ja beinahe die Umweltfuzzis noch lieber!
"Gute Fahrt", knurrte er als Abschiedsgruß, ohne das allerdings sonderlich ernst zu meinen, denn es war ihm grandios egal, ob die ihr Ziel erreichten oder zwischendurch absoffen. Und wenn sie glaubten, er würde ihnen das Ruderboot losmachen, dann hatten die sich aber geschnitten!
Gerade wollte er sich abwenden, als er zwei auf dem Boden stehende Pakete sah, und auf einem stand sogar sein eigener Name. Schnaubend bückte er sich danach. Die Crew der Caminante wurde auch immer fauler. Da standen die an der Reling und hielten maulaffenfeil, aber ihm sein Päckchen bringen, das schafften die nicht mehr! Saubande. Die steckten doch einfach alle unter einer Decke!

[Adam Turpin]

So, war die Hürde schonmal bewältigt. Er hoffte inständig, dass ihr selbsternannter 'Anführer' auch an alle Papiere dachte und so dem Herrn Verwalter nochmal das Leben versaute. Wenn nicht, sollte er sich nicht beschweren. Adam hatte ihm alles zukommen lassen, was er für die Einreise nach Atempo brauchte.

Die zweite größere Hürde allerdings, war noch lange nicht genommen und schaukelte unschuldig auf den leichten Wellen vor sich hin. Allein beim Anblick des Bootes wurde Adam wieder leicht käsig um die Nase und sein Magen erinnerte ihn mit einem unangenehmen Hüpfer daran, dass er Bootstouren anscheinend nicht sonderlich gut vertrug. Er atmete einmal tief durch und reichte Sofia dann seinen Kram, bevor er vorsichtig, aber trockenen Fußes in das leicht schwankende Boot stieg. Ging doch. Zumindest lebte er noch.
"Einen Fußmarsch hast du vermutlich nichtmal ansatzweise in Betracht gezogen, was?" Überraschenderweise klang er nicht halb so mäkelig, wie man annehmen könnte. Anscheinend hatte ihn die kleine Unterhaltung mit Garcia wieder auf den Boden geholt und er hatte seine Contenance halbwegs wiedergefunden. Blieb nur zu hoffen, dass sie diesmal auch ein Weilchen hielt.

[Sofia Pereira]

Sofia half Adam dabei sein Gepäck im Boot zu verstauen und fragte sich, ob es möglich war, die kleine Nussschale in der sie saßen zu versenken, wenn sie es falsch positionierten. Es schwankte erneut, als Adam schließlich mit einem wenig begeisterten Gesichtsausdruck zu ihr stieg und die junge Frau mußte sich alle Mühe geben, um sich nicht leicht panisch irgendwo fest zuklammern. Das hätte jedoch einen so schlechten Eindruck gemacht, daß sie lieber ins Wasser gefallen wäre, als zu zugeben daß sie sich zumindest was winzige Ruderboote anging, kaum weniger schlecht fühlte, als ihr neuer erster Maat. Ein wenig überrascht stellte sie fest, daß er nicht mehr ganz so sehr dannach klang, als stünde er am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Das würde sich wärend ihrer Überfahrt aber sicher schnell wieder ändern.

Sofia streckte sich (so weit das möglich war) scheinbar gemütlich im Boot aus, wobei sie darauf achtete, sich möglichst so zu positionieren, daß zum einen klar wurde, daß sie hier ganz sicher keine Hand rühren würde und zum anderen so dekorativ wie irgend möglich.
"Doch, durchaus. Ich war nur der Meinung, daß du nach deiner anstrengenden Reise nicht noch stundenlang durch den Dschungel irren wolltest. Da gibt es giftige Pflanzen, gefährliche Tiere, Mücken, man kann sich verlaufen... und wir hätten viel länger gebraucht als mit dem Boot hier. Ich habs nur gut gemeint."
Das stimmte sogar teilweise. Der andere Grund war schlicht und ergreifend, daß Sofia zu faul war stundenlang Gepäck durch das Dickicht zu schleppen. Gut, ganz so schlimm war es nicht, es gab einen Weg, den man auch kaum verfehlen konnte, aber trotzdem.
Aus ihrer halb liegenden, halb geräkelten Position heraus deutete sie auf das Seil, das Teo vorhin für sie befestigt hatte.
"Du mußt das los machen."
Den Zusazt, daß er im Anschluss würde rudern müssen, verkniff sie sich wohlweislich vorerst.

[Narracion]

[Catarina Bolivar]

c.f Vortag

Von einem Alptraum in den nächsten. Normalerweise gestaltete sich ihr Leben nicht so, aber als sie am frühen Morgen auf den Steg des Handelspostens zudümpelte, das leise Knattern des Motors von Canallis persönlichem Beiboot im Hintergrund, nachdem sie sich geweigert hatte auf anderem Wege nach Atempo aufzubrechen, war Catarina sich recht sicher, dass es rapide bergab für sie ging. Sie hatte keine Lust auf Atempo, ihre kleingeistige Familie und die schlecht gepflasterten, wenn überhaupt gepflasterten Wege durchs Dörfchen. Viel lieber wollte sie nach Primera zurück und das tun, was sie am besten konnte: assistieren. In der Zivilisation, bitte sehr. Das Motorboot legte am Steg an und während der arme Lopez Catarinas, vom kleinen Rollkoffer in einen größeren Rucksack umgefrachtetes, Gepäck auf die Planken hievte, tippelte Canallis Assistentin voraus und sah sich mit gerümpfter Nase um. Sah immer noch aus wie früher hier. Hinter ihr ächzte es und Catarinas "Danke Lopez, das wäre alles", kam ohne dass Madame sich nur ansatzweise zu ihm umdrehte.

Lopez grummelte irgendwas, und selbst die Grummelei klang höflich, bevor er die kleine Leiter hinab zurück ins Boot stieg und Catarina irgendwie schadenfroh ihrem Schicksal überließ. Hoffentlich arbeitete hier immer noch dieser ungepflegte kleine Gnom, der sie bei ihrer Abreise vor einigen Jahren so blöd angegrinst hatte.
"Senor Blanco?", wieso ihn suchen gehen, wenn sie einfach mal rufen konnte. Der hatte sich gefälligst zu ihr zu bewegen.

[Garcia Blanco]

cf: letzter Tag

Mitten in der Nacht! Erst hatte Garcia geglaubt zu träumen - eine Frauenstimme, die seinen Namen rief? - aber als sich der Ruf wiederholt hatte, war ihm klar geworden, dass ihn da irgendwer zu wecken versuchte. Eine Unverschämtheit! Als er die Tür seiner Behausung aufriss - barfuß, das etwas fleckige Hemd nur übergeworfen, nicht aber zugeknöpft; immerhin war es schon umständlich genug gewesen, in die Hosen zu fahren - da war Garcia bereit gewesen, den Dämon, der da draußen brüllte, mit seinem Stock zu erschlagen. Und dann kehrte der Verdacht zurück, dass er doch immer noch träumte. Denn mal ehrlich: In welcher Realität stackste denn eine Frau, die aus irgendeiner Zeitschrift gefallen sein könnte, mit hochhackigen Schuhen und im Kostümchen über Garcias Steg?! Entweder war die nicht echt - oder echt bekloppt.

Argwöhnisch humpelte Garcia den kurzen Weg entlang und bemühte sich halbwegs, seine Kleidung dabei zu richten. Dass er an der Tatsache, dass er heute weder Rasierer noch Kamm noch Zahnbürste bereits guten Morgen gesagt hatte, nichts mehr ändern konnte, war ihm irgendwie klar. Andererseits musste man für Traumgestalten oder Verrückte auch nicht den guten Anzug rausholen.
"Ja?", fragte er mit einer Stimme, die eine Portion Öl hätte vertragen können. Er kniff die Augen leicht zusammen: Die Rothaarige kam ihm irgendwie bekannt vor. Scheiße, was war das eigentlich für eine Woche?!?

[Catarina Bolivar]

Innerlich fluchte sie schon wieder auf dieses ungemein faule und bequeme Pack, das hier hauste. Sie war in ihrer Ruferei immer lauter und dringlicher geworden und wollte grade nach einem Rachenbonbon kramen, als die Tür einer eher unfein aussehenden Hütte doch noch aufging und... es herauskam. Arbeitete es also tatsächlich noch hier, sieh mal einer an. Vorsichtshalber schob Catarina ihre Handtasche mehr auf den Rücken, während Garcia näherkam und nachdem sie - einem ersten Impuls folgend - die Hand zum Gruß ausgestreckt hatte, zog sie die perfekt manikürten Finger doch noch rechtzeitig zurück, bevor er eventuell danach greifen konnte. Sowas dreckiges packte sie nicht an.
"Senor Blanco, endlich. Sie sind über die Jahre auch nicht schneller geworden, was?" Ihr Lächeln war umwerfend und grade deswegen ausgesprochen unverschämt. "Erinnern Sie sich an mich?" Wehe wenn nicht.

[Garcia Blanco]

Zog die ihm doch die Hand weg? Unverschämte Städterin! Für was hielt die sich denn? Wäre Garcia nicht noch hundemüde und verwirrt gewesen, dann... dann.. also dann hätte er darauf irgendwie reagiert. Jawohl. Und klar erinnerte er sich, nur nicht an den Namen. Diese hoch erhobene Nase, diese Tussiklamotten - und wer um alles in der Welt redete ihn überhaupt mit seinem Nachnamen an, verfluchter Dreck?
"Kann nicht klagen", knurrte er und ließ seinen Blick noch einmal ebenso prüfend wie nachdenklich über Catarinas Kleidung und Körper gleiten. Moment. Städterin, verwöhnte Ziege und wohl zuletzt vor Jahren hier? Es ratterte ein wenig in Garcias Gedächtnis, aber schließlich hatte er ein paar ältere Bilder vor Augen. "Du bist dieses Bolivar-Mädchen", sagte er langsam nickend. Diese dumme Pute, die es ihm Gegensatz zu ihm geschafft hatte, einen Job in einer richtigen Stadt zu finden! "Was willst du denn hier? Familie besuchen?"
Das war jetzt natürlich ein totaler Scheißdreck. Es gab da so eine Regelung mit den Leuten aus dem Dorf, die deren Angehörigen davor bewahrte, von ihm nach Papieren befragt zu werden. Dabei hatte die doch sicher Kohlen!

[Catarina Bolivar]

Wann hatte sie ihm eigentlich das Du angeboten, falls jemals überhaupt? Aber fein, dann ließ sie die Höflichkeiten eben weg, auch wenn es eigentlich nicht ihrer Natur entsprach.Die Musterung tat sie ihm übrigens gleich und war ebenfalls wenig beeindruckt, um es mal gelinde auszudrücken. Sie hatte Garcia als generell unschön in Erinnerung, aber mit dem offenen Hemd war er ein dermaßen unansehnlicher Anblick, dass es ihr beinahe die pedikürten Zehennägel hochrollte. Wenigstens hatte er sich die Hose zugemacht.
"Genau, die liebe Familie besuchen. Ist ja schon ein Weilchen her." Das Lächeln blieb auf ihre Züge gemeißelt und seine Enttäuschung, dass er sie deswegen nicht ausbeuten durfte, konnte sie beinahe riechen. Wobei, der Herr roch sowieso streng.
"Davor würde ich mich allerdings gerne kurz mit dir unterhalten." Wirklich kurz, bitte, sonst verstopften ihre Atemwege.