Pier für kleinere Transport- und Passagierschiffe

[Narracion]

Der Pier für kleinere Transport- und Passagierschiffe verfügt über acht Liegeplätze. Stählerne Poller und Vorrichtungen für eine Gangway bieten Hilfestellung beim An- und Ablegen, und für Notfälle stehen Kästen mit Feuerlöschern und Rettungsringen bereit.

Vom Pier aus ist es nicht besonders weit bis zu einer kleinen Halle, in der vorübergehend Fracht für die Schiffe gelagert werden kann. Auch ist dieser Pier derjenige, der am dichtesten zu den ersten Hafenkneipen gelegen ist. Die Kneipe "Piranha" rühmt sich, dicht genug zu liegen, dass man es noch so betrunken zum Pier schaffen kann.

Die hat an diesem Pier einen festen Liegeplatz.

[Narracion]

[Elvis Strindberg]

"Hm." Elvis schob seine Sonnenbrille Marke Pornostil herunter und lugte über die Gläser hinweg, aber der Liegeplatz blieb, was er auch vorher schon gewesen war: leer. Blöderweise war das der Liegeplatz, an dem das einzige Schiff lag, das laut einheimischer Bevölkerung überhaupt regelmäßig in diese Boccacciobucht fuhr. Das war jetzt dumm gelaufen. Dabei hatte er schon frohlockt, denn als er sich nach der Expedition erkundigt hatte, waren sich mehrere sicher gewesen, die gestern abend noch gesehen zu haben. Da hatte er noch gehofft, sie bereits eingeholt zu haben. Und jetzt das.
"Hm", machte er noch einmal, ließ seinen Rucksack von den Schultern gleiten und stellte ihn zu seinen Füßen ab. So ein Schiff machte ja nun selten Pinkelpause. Da war es wohl schon unterwegs. Das war jetzt wirklich blöd, aber das ließ sich nichts machen.
Er zog einen ziemlich verknitterten Hut aus dem Rucksack und zog sich den über den Ohren. Nicht, dass er fror, aber wenn er schon auf das Schiff wartete, wollte er seinen Schädel nicht der prallen Sonne aussetzen; schwitzen würde er so oder so, das lag in der Natur des Wetters.
Er hockte sich auf den nächsten Poller, stützte die Ellbogen auf die Knie und starrte aufs Meer. Irgendwann würde das Schiff ja wohl auch wieder zurückkommen.

[Teddy Wilcox]

Verpennt. Eiskalt verpennt, trotz gefühlten dreitausend Weckern. Der Anruf der Rezeptionistin des Gasthauses, in dem er übernachtet hatte, hatte ihn dann doch aus dem Schlaf gerissen. Ein Blick auf die Uhr und Teddy legte einen panikbedingten Rekord im Speedduschen hin. Keine Zeit fürs Frühstück, keine Zeit alles ordentlich in den Rucksack zu packen, er musste zum Pier. Jetzt, sofort. Das Pons Reisewörterbuch für Portugiesisch hielt er beim Laufen fest an die Brust gedrückt – irgendjemand, vermutlich sein erkrankter Freund, hatte ihm verklickert dass Portugiesisch die Landessprache sei, wobei die Dame im Gasthaus recht gut Englisch sprach – und hin und wieder tönte von ihm ein leicht irritiert klingendes „Perdão!“ wenn er meinte jemanden angerempelt zu haben. Japsend und völlig aus der Puste erreichte er schließlich den Pier, kämpfte einen Moment mit niedrigem Blutdruck und einem imaginären Kreislaufkoller und sah sich dann um. Hier gab’s ja alles. Nur kein Schiff.

Die Leute um ihn herum wuselten so geschäftig durch die Gegend, das Ted sich nichtmal ansatzweise traute, irgendwen anzusprechen und sich nach dem Schiff und der Expedition zu erkundigen. Sowieso sahen ihn manche komisch an und er war sich nicht sicher, ob es an dem Strohhut oder dem verdächtig süßlichen Gestank von Mückenspray lag. Er sah einem Herrn mit Schubkarre hinterher, wobei sein Blick auf einen, augenscheinlich in die Jahre gekommenen, erm... Pornostar fiel, der auf einem Poller am Pier saß und das Meer anstarrte. Wenigstens einer der mal gar nichts zu tun schien.
„Erm... erm, desculpe?“ Raschen Schrittes war Ted zu dem Herrn hingestiefelt, dabei mit dem Pons in der Hand und dem, lose über die Schulter rutschenden, Rucksack kämpfend. „Eles sabem... erm“, er blätterte in seinem Wörterbuch, „sabem... onde o... erm, Schiff, Schiff... navio! Sabem onde o navio se... se... ach, Dreck.“
Bedröppelt betrachtete er den Fremden einen Moment und murmelte dann ein „Batata agradável (Schöne Kartoffel)“, wobei er auf den Hut des Mannes deutete.

[Elvis Strindberg]

Elvis' Nasenflügel begannen zu zucken, als ein seltsamer Geruch sich in seine Nase verirrte. Irgendwie kam ihm das bekannt vor, aber so recht einordnen konnte er es nicht. Roch ein bisschen, als wäre was gestorben, aber toter Fisch war es eindeutig nicht. Aber wenn es gegen die Dunstwolke ankam, die Elvis selbst umgab, nachdem er einen 36-Stunden-Trip von Primera nach San Palabra hinter sich gebracht hatte, um die Expedition dann doch noch mal knapp zu verpassen, dann war es schon mal nicht von schlechten Eltern.
Und da war auch schon die Quelle! Elvis wandte den Kopf, blinzelte zwischen dem oberen Rand seiner Sonnenbrille und dem unteren Rand seines Huts zu Teddy hinauf und bewunderte sprachlos dessen Verzweiflung. Ein Frischling, ganz eindeutig. Der gehörte hierher wie ein Eiswürfel in die Wüste - und er schwitzte auch schon so ähnlich. Ob das einfach nur der Geruch von ganz diabolisch verrecktem Deo war?
Beinahe war Elvis versucht, den Frischling am langen Arm verhungern zu lassen. Er kannte eine ganze Reihe von Sprachen in Brocken, und die Hälfte der Brocken sprach er bestimmt auch noch falsch aus, aber sicher könnte er den Frischling in den sprachlichen Selbstmord treiben, wenn er jetzt vorgab, ihn nicht zu verstehen. Andererseits - mit sowas musste man ja Mitleid haben!
Elvis' Mund verzog sich, präsentierte ein wenig zu große, ein wenig zu schiefe Zähne, und schließlich brach der Mann in keckerndes Lachen aus. "Onde está?", schlug er lachend vor, schon die Hutkrempe mit dem Daumen hoch und zuckte mit den Achseln. "Wenn du die Caminante suchst, die ist schon weg, Batata." Er grinste spöttisch. "Schönes Aftershave übrigens." Falls der sich überhaupt schon rasieren musste.

[Teddy Wilcox]

Auf einen Moment betretenen Schweigens folgte ein weiteres, konfuses „Erm...“. Besonders eloquent wirkte Teddy wohl derzeit nicht, was ihn in seinem Stress allerdings nicht zu interessieren schien. Grade wollte er wieder fieberhaft in seinem Wörterbuch nachblättern, als der fremde Pornostar weiterquatschte und das noch, zu seiner unendlichen Erleichterung, in einer Sprache die er tatsächlich verstand.
„Die ist... weg?“ Er starrte den Fremden dermaßen bedröppelt an, dass er selbst das liebevolle ‚batata’ in seine Richtung ignorierte. Wenn hier mal nicht ein neuer Spitzname geboren war, wusste er es auch nicht.
Das Schiff konnte noch nicht weg sein. Gut ja, er hatte verschlafen, aber nun auch nicht so übermäßig dass er – hastig glitt sein Blick auf seine Armbanduhr, wobei ihm der Rucksack komplett von der Schulter rutschte und er unter dem Gewicht direkt mal ein kleines Stückchen einknickte. Nur wegen der Überraschung versteht sich. „Aber... aber die fährt doch hier ab um erm... um“, seine Gesichtsentgleisung als er die Anzeige seiner Uhr entziffert hatte, sprach Bände. Hm, wie verbarg er jetzt die leichte Panik in seiner Stimme? Gestrandet auf einem unbekannten Eiland, ohne Orientierung oder irgendeine Form von Ahnung was er hier eigentlich tat. Spontaneität war irgendwie nicht so seins.

„Aftershave?“ Irritiert sah er wieder von seiner Uhr auf. „Oh! Oh, nein. Nein, nein, das erm, das ist, Moment-“ begann er in seinem ohnehin verrutschten Rucksack zu kramen, um kurz darauf eine violette Sprühdose hervorzukramen, auf der eine dicke, schwarze Mücke abgebildet war, über der in gelb fett ‚Anti-Brumm’ stand. „Das ist Mückenspray. Es riecht etwas streng aber ich schätze mal dass es deswegen wirkt.“ Er grinste schief, während er kurz die Inhaltsbeschreibung des Sprays zu mustern schien.
„Sie wissen nicht zufällig, wann die Caminante das nächste Mal Richtung Boccacciobucht fährt? Ich müsste da nämlich... also, ich soll da einen Job anfangen und da wäre es natürlich weniger gut wenn ich nie ankomme, verstehen Sie?“ Das schiefe Grinsen würde er heute vermutlich nicht mehr ablegen.

[Elvis Strindberg]

Elvis' Grinsen wurde nur noch breiter. Wie naiv der Frischling auf dieses Spray vertraute.. Aber zumindest wusste er jetzt, woher er den Gestank kannte: Mit dem Zeug hatte mal ein Kollege sein ganzes Zelt eingeduftet, was ihn dazu ermuntert hatte, zwei Nächte am Lagerfeuer und der frischen Luft zu verbringen, statt sich die Chemiekeule in die Lunge zu ziehen. Anti-Brumm. Na, zumindest konnte man die Dose gut nach schnarchenden Zeltkumpanen werfen.
"Tja, gute Frage", antwortete er, während sein Grinsen verblasste und er stattdessen eine Grimasse schnitt. "Morgen vielleicht oder übermorgen. Um genau das herauszufinden, hocke ich hier. Ich habe da nämlich auch einen Job, der nach mir ruft." Bloß dass er noch nicht so ganz wusste, dass er das tat, aber Träger konnte eine Expedition seiner Erfahrung nach nie haben. Man konnte ja auch immer mal wieder einen unterwegs verlieren, da kam ein bisschen Reserve gut.
"Was für'n Job treibt dich denn da hin?" Neugierig beäugte er ihn über den Rand der Brille hinweg. Der war... hm. Halbes Hemd, hypernervös, nicht von hier, sonst hätte er vorhin nicht so rumgestottert, Stadtkind - tja, der war vollkommen falsch.

[Teddy Wilcox]

Tja, wenn Teddy sich in seiner Haut nicht wohlfühlte, passierten nunmal derartige Missgeschicke. Er verpennte, stotterte sich einen zurecht und belästigte auch noch unschuldige Passanten mit Mückenspray. Fehlte eigentlich nur noch, dass er den armen Kerl direkt mit dem Zeug einsprühte.
„Übermorgen?“ War das jetzt sein ernst? Wieso landete ausgerechnet er wieder in einem Winkel der Welt, in dem moderne Fortbewegungsmittel anscheinend beim Rad hängen geblieben waren. Oder bei primitiven Holzbooten, wenn er sich so die paar reichlich wackeligen Schiffchen im Hafengewässer ansah. Nebenbei fiel ihm ein, dass er gar keine Ahnung hatte ob er vielleicht seekrank wurde oder sowas. Naja, würde er spätestens merken, wenn er auf einem Schiff war, nech?
„Ich soll mich bei einer Expedition melden.“ Das Mückenspray verstaute er wieder und kramte stattdessen nach einer dünnen Mappe. Er klappte sie auf und reichte sie dem Fremden, der auf der ersten Seite direkt Williams Anzeige erkennen dürfte. Dass er vollkommen falsch war, dämmerte ihm langsam auch. Wobei er das ja eigentlich von vornherein gewusst hatte. Sowieso war das alles hier sein verfluchter, kranker Kumpel schuld. „Ich hab mir gedacht wenn schon sterben, dann wenigstens auf spannendem Wege“, er grinste schief und befand seinen eigenen Witz als ziemlich dämlich. „Was wollen Sie da machen?“ Eventuell konnte er sich einfach an den Herrn dranhängen, zumindest bis sie in der Bucht waren. Auch wenn ein Tag voller Warten auf diesem Steg nicht unbedingt das war, womit Teddy gerechnet hatte.

[Elvis Strindberg]

"Vielleicht auch schon eher. Das kommt meistens darauf an, was man zahlen kann." Bei seiner Kassenlage würde er sich jedenfalls keine Exklusivfahrt leisten können, und Batata hier sah jetzt auch nicht aus, als hätte er goldene Löffel in den Taschen.
Elvis nahm überrascht die Anzeige entgegen, die er natürlich sofort erkannte; so ein Ding war ja schuld daran, dass er überhaupt hier war! "Echt? Du willst Inka suchen?" Wieder musterte er ihn, dieses Mal wesentlich eindringlicher. Sicher so ein Anfänger, der glaubte, die Wahrheit stünde in dicke Bücher gepresst in staubigen Bibliotheken, und der sich für einen Insider hielt, weil er in einem Museum nur von zentimeterdickem Panzerglas von einem uralten Stein getrennt gewesen war! Und dabei so ahnungslos wie eine Kartoffel in der Fleischtheke!
"Da fahre ich auch hin; die vermissen meine Muskeln sicher schon." Er richtete sich auf, winkelte den rechten Arm an und spannte Bi- und Trizeps an. "Ich bin nämlich Träger."
Und das war doch jetzt ein netter Zufall. Da konnte er sich ja einfach an den Frischling dranhängen, aufpassen, dass er nicht ins Wasser fiel und sich von ihm zu Professor Williams bringen lassen! Also, falls der Junge den Weg überhaupt fand...
"Habt ihr da in der Bucht irgendwo einen Treffpunkt ausgemacht?"

[Teddy Wilcox]

Zahlen? Jah, ab hier wurde es problematisch. Er hatte sich für die Reise zwar einiges angespart, war als Student allerdings nach wie vor weit von ‚reich’ entfernt. Vielleicht reichte es ja für die simpelste Methode des Übersetzens. Schwimmen wollte er eigentlich eher ungern.
„Naja, Inka...“, kam’s etwas lapidar. Für die Inka interessierte er sich eigentlich weniger, auch wenn er den Kalender und die angebliche Weltuntergangsprophezeiung für ziemlich spannend hielt. Er wollte eigentlich vielmehr mal was machen, was andere nicht machten, den Lebenslauf ein bisschen aufpeppen und vielleicht endlich mal etwas erleben, von dem er seinen vermutlich niemals existierenden Enkeln erzählen konnte.
„Es ist schon spannend, aber ich denk ich glaub erst an den ganzen Hokuspokus wenn ich ihn sehe.“
Beim Anblick der Muskeln des Fremden wurde er dann allerdings einen Ticken blass. Erstaunlich eigentlich, dass es unter dem bereits unfreiwillig herangezüchteten, sonnengebräunten Teint zu sehen war. Ja, solche Muskeln vermissten die sicherlich. Seine erm... eher nicht. „Wirklich? Ja, Zufall“, er kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Ich auch. Hehe.“ Gott war das peinlich grade.
„In der Bucht nicht. Eigentlich hier vor Abfahrt des Schiffes aber naja... ich hab etwas, also wirklich nur ein ganz kleines bisschen verschlafen und anscheinend die Abfahrt verpasst und jetzt... ja. Steh ich hier.“ Und schämte sich in Grund und Boden. Zum einen wegen seiner Schusseligkeit, zum anderen weil ihm langsam dämmerte dass er als Träger wahrscheinlich wirklich wenig bis gar nicht geeignet war. Zumindest nicht im Vergleich zu dem Typen da.