Wasserfall

[Narracion]

Am unteren Lauf der Laete, etwa drei Stunden Fußmarsch entfernt von der Mündung, stürzt der Fluss einen knapp vier Meter hohen, aber relativ breiten Wasserfall hinab und speist ein Becken, von dem aus der Fluss sich träge auf den Weg zum Meer macht. Wer unter dem Wasserfall hindurchtaucht oder sich eng an den Fels gepresst auf dem Landweg hinter den Wasservorhang begibt, kann eine in den Stein geritzte große Hand entdecken. Fast direkt dahinter öffnet sich ein Spalt, hinter dem ein schmaler Tunnel bergab ins Dunkle führt.

Auffällig ist ein großer, vom Wasser rund geschliffener Stein am Ostufer des Beckens, der aus dunklem Fels besteht und sich deutlich von den eher rotbraunen oder hellgrauen Steinen der Umgebung unterscheidet.

Die Selenisten nennen diesen Ort den "Wasserfall der großen Hand". An dem dunklen Stein, den ihre Vorfahren hierher gebracht haben, beginnt der Weg zum Tempel, den die Tempelwachen vor den Ritualen kennzeichnen.

[Narracion]

[Ray Williams]

cf: letzter Tag

Ray kniete am Ufer nieder, schöpfte mit beiden Händen das kalte Wasser und goß es sich ins Gesicht und über den Nacken. Ein langer Tag lag hinter ihm, an dem er seine Expedition zu Fuß durch den Dschungel getrieben hatte, immer der Nase nach. Scotts Aufgabe war es gewesen, sie immer wieder in die richtige Richtung zu bugsieren; eine Aufgabe, die Ray sich auch selbst zugetraut hätte, aber wie gut es war, eher zu viel als zu wenig Optionen zu haben, hatte sich bei ihrem Unfall gestern herausgestellt. Auch heute würde Ray wieder unter freiem Himmel nächtigen; sein Zelt ruhte irgendwo im Flussbett zusammen mit einem Teil ihrer Vorräte und ein paar Ausrüstungsgegenständen. Die starken Lampen, die er vor allem dafür mitgenommen hatte, damit sie auch nachts noch gut sehen konnten, gehörten ebenso zu den Opfern ihrer Wasserung wie ein Großteil der Schriftstücke und Genehmigungen, die sie in mühsamer Vorbereitung nahezu über Jahre eingeholt hatten. Ray hatte beschlossen, nicht mehr darüber nachzudenken. Niemand würde hier und jetzt doch wohl noch eine Genehmigung sehen wollen!

Seit sie durch den Dschungel marschiert waren und nach der Großen Hand Ausschau gehalten hatten, fühlte Ray sich besser. Zugegeben, es war ein wenig bequemer, mit dem Boot unterwegs zu sein, aber es ging nichts über einen Extrem-Spaziergang, um den Kopf freizukriegen. Leider hatten sie nur so überhaupt nichts gefunden. Morgen würden sie also wohl würde dem Fluss folgen.

Ray setzte sich aufrecht und blickte versonnen auf den Wasserfall, in dessen sprühenden Tropfen sich die ersten roten Strahlen der untergehenden Sonne verfingen, ohne dass der Archäologe diese Schönheit bemerkt hätte. In diesen Breitengraden, nur knapp nördlich des Äquators, wurde es schnell dunkel, aber wenigstens war ihr Nachtlager aufgebaut, und mit dem Treffen mit den Trägern, die ihre restliche Ausrüstung per Boot flussaufwärts gebracht hatten, hatte auch funktioniert. So ein stressfreier Tag war doch etwas Schönes - auch wenn die Muskeln noch über die wieder ungewohnt gewordene Arbeit des Wegfreihackens klagten und er nur deshalb keine Blasen an den Füßen hatte, weil er extrem gutes Schuhwerk und ebenfalls extrem abgehärtete Sohlen hatte. Wenn er da an seine Ferienausflüge in der Studienzeit mit Des dachte.. zu schade, dass der abgelehnt hatte, sich an der Tour zu beteiligen.

[Miguel Bolivar]

cf: letzter Tag

Zum Glück war Miguel durch sein Leben als Fischer gut trainiert. Es hatte den Tag hindurch doch noch das eine oder andere aus dem Fluss zu fischen gegeben. Gemeinsam mit Teddy und Elvis hatte er die letzten paar Stunden damit verbracht, so viel von ihrem Material wie möglich aus dem schlammigen Wasser zu holen, Tauchgänge inklusive. Aber immerhin hatten sie anders als der Rest der Expedition nicht mühsam durch den Dschungel marschieren müssen, mit dem ganzen bereits geretteten Material auf dem Rücken. Stattdessen konnten sie nachdem wirklich nichts mehr zu finden war, einfach stromaufwärts paddeln, um zum verabredeten Treffpunkt am Wasserfall zu gelangen.

Als sie dann dort eingetroffen waren, realisierte Miguel beunruhigt, welcher Wasserfall das war. Immerhin standen die Chancen gut, dass die Expedition nicht bemerken würde, dass sich hier eine ihrer lang gesuchten Wegmarken befand. Sie war gut genug versteckt, und der Prof hatte ja nicht mal gewusst, wonach genau er eigentlich Ausschau halten musste. Dennoch würde Miguel froh sein, wenn sie hier am nächsten Tag so rasch wie möglich wieder verschwanden.

Als das Boot entladen und alles zum Trocknen ausgebreitet war, tauchten auch schon bald die sichtlich erschöpften Wanderer auf. Der Professor zeigte sich erfreut, dass sie doch noch so einiges hatten retten können. Miguel half dann auch noch mit, das Lager aufzubauen, aber sobald alles erledigt war, stürzte er sich in den Fluss, um sich abzukühlen und vom langen Tag etwas zu erholen. Das Wasser war hier viel klarer als noch weiter unten, wo sie gestrandet waren, und angenehm kühl. Er liess sich ein bisschen treiben und schwamm dann der Strömung entgegen wieder hoch zum Lager, wo er den Professor am Ufer sah, der sich auch gerade mit Flusswasser etwas abkühlte. Miguel sah zum Wasserfall und hoffte bloss, dass der sein Geheimnis gut verbarg. Mit langen, kräftigen Zügen crawlte er zurück zu der Stelle, wo er seine Kleidung gelassen hatte, nahe am Wasserfall selbst, kletterte dort raus und begann sich anzuziehen.

[Elvis Strindberg]

cf: letzter Tag/Boot 2

Nachdem Elvis Viktoria dabei geholfen hatte, die getrockneten Fundstücke nach einem bestimmten System zu ordnen und die junge Wissenschaftlerin nun damit begann, ihre Listen von Neuem abzugleichen, fand er, dass es an der Zeit war für seinen Feierabend. Der Tag war ganz nett gewesen: Sie hatten Teddy das Boot zum Flicken überlassen, dass Alejandro und Teddy gefunden hatten, und somit verhindert, dass sein Schützling sich am Ende noch selbst ertränkte. Bei Gelegenheit musste er dem jungen Cortez noch mal einen lobenden Schulterschlag für seinen Fund verpassen, denn wenn sie wieder zwei einsatzfähige Boote hatten, mussten sie sich so bald nicht noch einmal trennen, und Elvis hätte es schrecklich gefunden, wenn die Forscher am Ende was entdeckt hatten, während er an einer anderen Stelle des Dschungels das Boot hütete. Morgen war er aber sicher wieder mittendrin statt nur dabei.

Apropos mittendrin. Elvis streifte sein Shirt ab, warf es achtlos zu Boden, stemmte die Arme in die Seite und blickte hinauf zum Wasserfall. Wenn Miguel in dem Becken da schwimmen konnte, war es sicher nicht nur babyhoch. Und da hochzuklettern konnte doch auch kein Kunststück sein. "Ich werde jetzt von diesem Wasserfall springen", verkündete Elvis, und nachdem er einen Moment in Heldenpose hinaufgestarrt hatte, wandte er sich mit blitzenden Augen zu den Studenten und dem Rest. "Kommt wer mit?"

[Teddy Wilcox]

c.f: letzter Tag

Wieso hatte ihn eigentlich niemand vorgewarnt, wie schwer so ein Schlauchboot sein konnte? Das Ding am Vortag zu Zweit zum Trupp zurück zu schleppen, war weniger problematisch gewesen, als es vollkommen alleine zu händeln, was Teddy trotzdem bereits seit geraumer Zeit versuchte. Aus irgendeinem Grund hatte Williams – vermutlich auf Ratschlag von Elvis hin, zumindest hatte der Hüne so bescheiden blöd gegrinst, als er ihn das letzte Mal gesehen hatte – ihn damit beauftragt, das Loch im platten Boot zu finden und zu flicken. Ein Weilchen hatte er versucht sich einzureden, dass es ja nicht viel schwerer sein konnte, als einen platten Fahrradreifen zu stopfen, bis er einsehen musste, dass ein Boot doch um einiges größer war und der ‚Ich tauch das Ding ins Wasser und schau wo Blasen auftauchen’-Trick, absolut nicht funktionierte.
Nun saß er bereits ein Weilchen an einem der wenigen Schattenplätze am Fluß, das Boot teilweise auf den Knien und mit einem Flickwerkkasten ausgestattet, mit dem man vermutlich Traktorräder hätte reparieren können.
Das Loch hatte er inzwischen gefunden und war, bis auf den letzten Feinschliff, mit der Reparatur fertig. Er sah von seiner Arbeit auf und fand sich prompt mit Elvis’ nackter Brust konfrontiert, die nicht mehr oder weniger vertrauenerweckend war, als die übertrieben muskelbepackten Oberarme. „Du willst was? Da rauf?“ Sein Blick wanderte den Wasserfall hoch und sein Gesichtsausdruck reichte vermutlich um nur allzu deutlich zu machen, dass er keinerlei Ambitionen hatte mitzukommen. Mal abgesehen davon wär sein hühnerbrüstiger Anblick neben Mr Muscle vermutlich viel zu peinlich, als dass er ihn ertragen könnte.

[Alejandro Cortez]

cf: ... letzter Tag.

Alejandro gähnte. Irgendwie hatte er´s nicht so mit langen Fußmärschen. Oder es -´es´ meaning dieses leichte Schwächelgefühl, das ihn gerade heimsuchte - lag daran, dass er gestern gefühlte stundenlang mit Teddy das, wieder gefühlte, zentnerschwere Schlauchboot durch die Gegend geschleift hatte. ODER – Alejandro verzog leicht gequält das Gesicht, als er dran dachte – das waren die Nachwirkungen des Gewaltmarsches durch den unwegsamen Dschungel. Nicht sein Ding. Eindeutig.
Egal, woher es kam, der junge Cortez sehnte sich nach einem deftigen Steak, einem kühlen Bier und nach einem weichen Bett, und zwar in genau der Reihenfolge. Gut, wenn Steak und Bier zur gleichen Zeit kamen, war´s auch okay.
WÄRE. Wäre es auch okay.

Ein leiser Seufzer kam über die Lippen des jungen Mannes, während er träge ein Auge öffnete und damit Elvis ansah. „Vergiss es“, sagte er und streckte sich genüsslich, wenn auch nur kurz, weil er nicht nur jeden Muskel, sondern auch sämtliche Knochen im Leib spürte. „Ich beweg mich heute nicht mehr.“ Nur noch zu seinem Schlafplatz, den er sich Gott sei Dank schon hergerichtet hatte, als er noch in der ´was weg ist, ist weg´-Stimmung gewesen war. „Ihr könnt von mir aus hier rumschwimmen“, er drehte den Kopf und schielte zu Miguel, „oder rumspringen“, sein Blick wanderte zurück zu Elvis, „oder auch“, er sah zu Teddy, der sich mit dem Boot abmühte, „rumstochern, wie ihr wollt, MIR reicht´s für heute.“ Und wenn irgendjemand meinte, dass man ihm noch irgendwelche Aufgaben übertragen könnte, würde er diesem Jemand mal kurz was husten. Jawohl.

[Elvis Strindberg]

Elvis lachte breit, als er die Reaktionen seiner jüngeren Begleiter wahrnahm. Die Jugend von heute hielt doch echt nichts mehr aus! "Ihr seid solche Memmen", neckte er sie gutmütig und mit breitem Grinsen, während er sich die Schuhe von den Füßen kickte. "Nach so einem Tag ist ein kühles Bad genau das richtige, um den Schweiß loszuwerden!" Aber wer nicht wollte, der hatte halt schon.
Er hielt noch mal kurz Ausschau nach Kumpanen, aber Luca wollte er nicht fragen - Senor Canalli war abgesehen von Viktoria und dem Professor der einzige, den Elvis nicht konsequent duzte, und bei ihm lag es nicht daran, dass er ihm die Kohlen für seine Arbeit zahlte oder Elvis ein Gentleman der alten Schule war, der eine junge Frau erst duzte, wenn sie es ihm angeboten hatte -, Miguel kam ja gerade erst aus dem Wasser, und Scott schien gerade irgendwo die Bäume zu gießen.. "Eh, Sébastien!", rief er schließlich und setzte sich schon mal in Bewegung. "Hast du wenigstens Mumm in den Knochen?"
Ohne dessen Antwort abzuwarten machte Elvis sich daran, an den Felsen des Wasserfalls nach einer Klettermöglichkeit zu suchen. Glitschig! Und spätestens jetzt brauste es tüchtig in seinen Ohren!

[Ray Williams]

Mit einem letzten Schütteln ließ Ray einige Wassertropfen von seinen Fingern fliegen, während er aufstand und Fluss und Wasserfall den Rücken zuwandte. Sein Magen knurrte; also wurde es Zeit, die Vorräte zu dezimieren und den Campingkocher anzuwerfen. Ein Glück, dass der auf dem zweiten Boot gewesen war - spätestens am Morgen half es der gesamten Expedition, dass heißes Wasser und Instant-Kaffee gerettet waren.
Für seine Verhältnisse fast schlendernd näherte er sich - mit einem etwas irritierten Blick in Richtung davoneilenden Elvis' - der Stelle, wo Teddy mit dem Boot und Alejandro mit seiner jammervollen Lage beschäftigt war. "Ah, die Helden des Schlauchboots bleiben vorsichtshalber in seiner Nähe, ja?" Sein Spott verbarg, wie erleichtert Ray darüber war, dass sich das zweite Boot wieder angefunden hatte. Da er die große Hand noch immer am Ufer der Laete vermutete, würde es leichter sein, sie auch vom Fluss aus zu entdecken. Wenn sie morgen die Boote hochgebracht und alles wieder eingepackt hatten, würden sie also wieder paddeln können. "Geht's gut voran?", fragte er in Teddys Richtung, auch wenn sein Blick eher auf Alejandro ruhte. Tja, die erste Expedition war immer die härteste, und nach der Expedition würde Cortez ganz sicher wissen, ob er wirklich ein Archäologe sein wollte, der Feldarbeit machte, oder sich einen gut bezahlten, klimatisierten Museumsjob suchte.

[Teddy Wilcox]

Einen Moment sah er dem davonstiefelnden Elvis hinterher, dann wandte er sich kopfschüttelnd dem Rest seiner Flickarbeit. Er fragte sich ja immer noch, wieso er den Hausfrauenjob bekommen hatte und nicht irgendjemand anderes. Es zog und zwiebelte sowieso in seinen Armen von der dämlichen Schlepperei und mit jeder Stunde die verging, war Teddy sich mehr und mehr sicher, dass das alles hier eine saublöde Idee gewesen war.
Williams verwirrte ihn auch. Womit sie den leichten Spott verdient hatten, verstand er nicht so ganz, weswegen er nur leicht irritiert und stupide vor sich hinlächelte, das dämliche Boot immer noch auf dem Schoß.
"Fast fertig, Sir! Ähm... Professor", heilige Scheiße, war er doof.
War ja auch nicht weiter schwer gewesen, so aalglatt wie die Ränder von dem Schnitt gewesen waren. Vermutlich sollte ihm das zu Denken geben, tat es aber nicht, weswegen er weiterhin, happy über seinen Fortschritt, den Professor angrinste.