Unterer Lauf der Laete

[Mercedes Bueno]

"Nicht so viele, wie ich gerne würde, Senorita Williams." Dr. Bueno lächelte melancholisch, schraubte die Wasserflasche zu und zuckte mit den Achseln. "Allerdings sind die meisten Sprachen, mit denen ich mit beschäftige, auch schon zu lange ausgestorben, um sie sprechen zu können."
Sie zupfte ein Taschentuch hervor, wischte sich damit über die schweißnasse Stirn und stopfte es mit abgespreizten Fingern wieder zurück in die Tasche, während sie ihren Blick müde über die Umgebung schweifen ließ. Die Laete strömte gemächlich in Sichtweite der Küste zu, und Dr. Bueno versuchte zu erahnen, wie schnell man sich auf diesem Fluss mit einem Boot bewegen konnte. Schneller als zu Fuß, da war sie sich sicher. Professor Williams hatte drei Tage Vorsprung - das machte umgerechnet sicher eine Menge Tage Dschungel! Falls die Expedition nicht abgebogen war und sich einen Weg abseits des Flusses gesucht hatte... "Denken Sie, dass wir überhaupt eine Chance haben, die anderen einzuholen, Dr. Carter?", erkundigte sie sich zaghaft, auch wenn sie sich bemühte, selbstsicherer zu klingen, als sie sich fühlte. Im Dorf war es ihr noch so leicht erschienen!

[Des Carter]

Na, das war aber fein, das es gut lief für Emma! Sie hätte allerdings ein bißchen enthusiastischer sein können...

Er gönnte den Frauen die Pause, die er dann aber zu beenden dachte. So stand er auf und sagte:
"Heute holen wir sie sicher nicht mehr ein, Dr. Bueno, morgen vielleicht auch nicht- es kommt darauf an, wie schnell sie waren, ob sie was aufgehalten hat- wie weit sie gekommen sind- sie wissen nicht das, was wir von Oscar wissen. Der Blick auf die Karte war schon hilfreich." meinte er.
"Womöglich sitzen sie ratlos irgendwo rum und sind kurz vorm aufgeben, weil sie ihre Rätsel nicht lösen können, Dr. Bueno." grinste er. "Was natürlich hilfreich fürs einholen wäre, Dr. Bueno."
Nein, mußte er schon wieder so gemein sein. Er schämte sich ein bißchen und streckte ihr die Hand hin, um Frau Doktor hochzuhelfen.Sie sah ja wirklich noch ganz fertig aus. So hilflos. Gut, daß er da war. Nur nicht schon wieder grinsen.

[Mercedes Bueno]

"Ja, der Blick war durchaus interessant", stimmte Dr. Bueno zu, während sie bedauernd feststellte, dass ihre Pause sich wohl dem Ende zuneigte. Mochte Dr. Carter sich auch so ungemein mühelos erheben - sie war sich sicher, dass es bei ihr schwerfälliger aussehen und sich ihr Körper nie so geschmeidig.. Dr. Bueno presste die Lippen aufeinander und schüttelte kurz den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben.
"Und es ist nicht mein Rätsel", fuhr sie schärfer fort, während sie Desmonds Hand annahm und sich mit leichtem Ächzen hochstemmte. Ihr Rücken protestierte, ihre Schultern schienen sich noch zu gut an das Gewicht des Rucksacks zu erinnern, und an ihre Füße wollte sie schon mal gar nicht erst denken. "Die Quellen unseres Wegweisers sind mindestens fünfhundert Jahre alt, wenn nicht sogar älter, und sie haben gewiss mehrere Übersetzungen durchlitten, um überhaupt in einer lebendigen Sprache Fuß zu fassen. Da ist es wohl nachzuvollziehen, dass sie ein bisschen komplizierter zu transferieren sind. Wir sind hier schließlich nicht auf einer Sightseeingtour." Sie blinzelte ihn herausfordernd an, auch wenn sie selbst befand, dass sie sich die letzte Bemerkung hätte verkneifen können. Bisher hatte Dr. Carter sie - von seinen unangemessenen Spitzen einmal abgesehen - durchaus akzeptabel angeführt; ein Hinweis auf seine eher unrühmlichen Nebenverdienste war ihm sicher nicht angenehm.

[Des Carter]

Emma war schon wieder hoch, und Dr. Bueno- dank seiner Hilfe- auch.
Was??? So ein Biest. Sightseeingtour? So, so. Naja, Spitze gegen Spitze. Er lächelte dennoch zähneknirschend und hätte Frau Doktor am liebsten wieder fallen gelassen...ein Glück hatte sie ihre Hand rasch wieder zurückgezogen, als sie stand.
"Dann," befahl er knapp, "Tempo! Wir wollen ja noch weiterkommen heute..."
Es erfolgte ein allgemeines Seufzen bei den Damen. Im Dschungel hatte der trainierte Touristenführer wohl die Nase vorn vor der Schreibtischtäterin! Er stapfte los.


tbc?

[Emma Williams]

Ihr Pate reagierte aber ganz schön bissig auf Doc Buenos Frage. Nicht dass es ihr etwas ausmachte, oder sie störte. Es irritierte sie eben nur, wie sich die Beiden gegenseitig piesackten. Aber wenigstens wurde es so nicht langweilig. Und wenn sie mit den Beiden nun mehr Zeit verbringen musste, bis sie die Anderen erreichten, würde sie es sowieso aushalten müssen. Den Rest der Expedition würde sie Bueno und Des trotzdem scharf beobachten. Nicht, dass Ihr etwas interessantes entging.
Über den Kern der Expedition, den Selenismus und die Rätsel wusste sie bisher nicht viel und hatte sich vor Abreise nur das nötigste, von dem Material, was ihr Vater ihr zugeschickt hatte, durchgelesen. Sie nahm sich vor, mehr darüber in Erfahrung zu bringen, damit sie am Ende nicht völlig dumm da stand.
Als sie aufstanden, um weiterzugehen, seufzte Emma mit. Sie war zwar nicht aus Zucker, aber langes Laufen, bei diesen Temperaturen nicht gewöhnt. Und dann war sie doch froh, dass Bueno im Gegensatz zum ihrem Patenonkel ebenso wenig trainiert war, wie sie.
Brav lief sie ihm hinterher, noch tiefer in den Dschungel hinein.
"Was gibts hier eigentlich alles für gefährliche Viecher?" Eigentlich wollte sie es gar nicht wissen. Aber ehe sie sich aus Versehen von einem Krokodil beißen lies oder von einem Tier eine Krankheit bekam, gegen das sie nicht geimpft war, wollte Emma es doch lieber wissen.

[Mercedes Bueno]

Die schroffe Reaktion weckte fast das Bedürfnis in Dr. Bueno, sich bei Carter zu entschuldigen. Aber andererseits war es ja nicht ihre Schuld, dass er sich für diese wenig akademische, nahezu plebejische Art der Geldbeschaffung entschieden hatte. Ein bisschen weniger Borniertheit bei der Auswahl der Forschungsthemen, und er hätte sich am Ende nur eingestehen müssen, für echte Forschung nicht gemacht zu sein, sondern sich lieber die Hände schmutzig zu machen. Das setzte sie ihm jetzt allerdings lieber nicht auseinander; dafür war sie nun doch zu abhängig von jemandem, der hier die Orientierung behielt und vor drohenden Gefahren warnen konnte - wenn er sie nicht gleich von vornherein ausschloss.
Sie erinnerte sich an ihre eiserne Disziplin, wenn es um Archivierungen oder die Beantragung von Forschungslizenzen ging, und versagte sich daher ein Seufzen, als der Marsch sich fortsetzte. Dennoch ließ sie Senorita Williams gern den Vortritt und reihte sich ans Ende ein - womöglich war es besser, etwas Distanz zwischen sich und Dr. Carter zu schaffen. Dann fühlte sie sich auch nicht genötigte, ihre Augen mitunter daran zu erinnern, dass gewisse Blicke von unbedarften Menschen als ungehörig interpretiert werden könnten, und sie sich besser darauf konzentrierte, wohin sie ihre Schritte setzte.
"Oh, fragen Sie besser nicht", murmelte sie eher zu sich als wirklich zu Emma. Bestimmt würde Dr. Carter jetzt wieder darauf hinweisen, wie unglaublich sicher der Dschungel allen Unkenrufen zum Trotz war und die gefährlichen Biester, die sich hier herumtrieben, unterschlagen. Oder - und Dr. Bueno war sich nicht sicher, ob das gut für ihre nächtliche Ruhefindung sein würde - er kramte die Räuberpistolen heraus. Was auch nicht besser sein würde!

[Des Carter]

"Stimmt, frag besser nicht." Er grinste schon wieder. Wohlmöglich, weil er sich im Stillen ausgemalt hatte wie angenehm es wäre, Dr Bueno einfach irgendwo im Urwald zu verscharren. Zumindest klang das nach einer ausgesprochen nervenschonenden Alternative zu diesem kleinen, mit Spitzen gespickten, Gewaltmarsch durch den Dschungel. Dass sie nur langsam vorankommen würden, war ihm vollkommen klar. Aber so langsam?
"Das hat unsere Frau Dottore hier ja schon gemacht und eine recht eindeutige Antwort bekommen. Nicht wahr?" Nein, er konnte es nicht lassen. Und selbst wenn er gekonnt hätte, würde er nicht wollen. "Wenn wir auf dem Wasserweg unterwegs wären, müssten wir uns wahrscheinlich Gedanken um Krokodile machen. Hier mitten im Grünen solltest du möglichst keine Krabbelviecher anfassen und irgendwo sollen hier Raubkatzen herumschleichen. Wobei Dr Bueno und ich uns noch nicht ganz einig sind, wie gefährlich die Viecher nun sein sollen." Und nein, es war nicht seine Schuld, dass Mercedes an Ammenmärchen glaubte. Raubkatzen. Die Tiere hielten sich in der Regel von Menschen fern, insbesondere tagsüber.

[Emma Williams]

Im Zoo hatte Emma Raubkatzen immer besonders toll gefunden und hatte deren Eleganz und Anmut bewundert. Früher hätte sie auch gerne das weiche Fell der Tiere gestreichelt.
Aber heute und in freier Laufbahn gefiel ihr diese Vorstellung gar nicht. Trotzdem beruhigte es sie im Gegensatz zu Bueno ein bisschen, dass Desmond sich nicht aus der Ruhe bringen ließ und keine Angst vor den wilden Tieren hier zu haben schien. Vielleicht war das wirklich wie mit den Spinnen. Als kleines Mädchen hat man Angst vor ihnen, bis einem erklärt wird und das die Spinnen doch viel mehr Angst vor ihr hatten, als sie selbst. Vielleicht wurden die gefährlichen Tiere auch einfach unterschätzt.
Denkst du das immer noch, wenn die irgendein Tiger den Arm abbeißt?, fragte eine nicht besonders optimistische Spinne in ihrem Kopf, die aber gleich mit der Frage verdrängt würde, ob es überhaupt Tiger im südamerikanischen Dschungel gab. Bis heute hatte die junge Studentin noch nicht darüber nachgedacht.
Das Einzige, was ihr wirklich Sorgen bereitete, waren die Insekten. Gut, sie wusste, wie eine Vogelspinne aussah. Aber viel mehr wusste sie auch nicht. Und was, wenn sie dann doch von einem Viech gestochen wurde , das giftig war? Papperlapapp. Sie musste sich doch einmal zusammenreißen.
"Und... du warst schon öfter im Dschungel unterwegs?", fragte sie ihren Patenonkel. Sie wollte versichert sein, dass wenigstens er wusste was im Ernstfall zu tun war.

[Mercedes Bueno]

"Worüber wir uns nicht einig waren", korrigierte Dr. Bueno, während sie mit spitzen Fingern einen großen Farn beiseite drückte, der ihren Weg versperrte, "war weniger die Gefährlichkeit denn die bloße Existenz dieser Tiere. Ich fand den örtlichen Kommentar lediglich beunruhigend und habe Sie nach Ihrer professionellen Meinung befragt." Wenn er überhaupt so etwas wie eine 'professionelle' Meinung besaß! Ihr war dieser Javier durchaus vertrauenswürdig erschienen! War es am Ende eher Wunschglauben, der sie in Sicherheit wiegen sollte? Was wusste sie denn schon über Dr. Carter, von seinem zweifelhaften wissenschaftlichen Ruf und der ohne Zweifel unrühmlichen Karriere einmal abgesehen? Lediglich seine Beziehung zu Professor Williams und dessen Familie schien ihr Grund genug, ihm zumindest diese Aufgabe hier zuzutrauen.
"Übrigens", fuhr sie fort, "bin ich der Meinung, dass wir uns trotz der Krokodile eher am Fluss orientieren sollen. Sonst verfehlen wir am Ende noch die Expedition, denn die wird zweifelsfrei dem Flusslauf folgen!" Sie wischte sich eine Haarsträhne aus der Stirn - eine verschwitzte Haarsträhne, madre de Dios. Wie schön kühl wäre es jetzt in ihrer Bibliothek?

[Des Carter]

"Wir orientieren uns am Fluss, Doktor Bueno. Die Laete fließt zu Ihrer Linken. Ich würde allerdings nicht empfehlen, dem Ufer zu nahe zu kommen." Den Dschungel rund um Atempo herum kannte er zwar nicht besonders gut, aber wenn er etwas aus vergangenen Reisen gelernt hatte, dann dass unübersichtliche Uferböschungen eines Flusses kein guter Platz für ein Päuschen waren. "Hm, oft genug", grinste er sein Patenkind an. "Wenn man aktive Selenismusforschung betreiben will, führt kein Weg am Dschungel vorbei. Die Frage ist nur ob man gesponsert und legal forscht, wie dein Dad oder erm... unkonventionell." Sprich ohne Papiere, vollständige Ausrüstung und ein komplettes Team, so wie er das die letzten Jahre über getan hatte.
"Was sagten Sie ist die erste Wegmarke? Ein Wasserfall?"
Er war ja immer noch skeptisch wegen der Kinderlieder aus denen Madame Doktor das alles decheffriert hatte.