Irgendwo im Dschungel

[Raphael Healy]

"Hm."
Das war tatsächlich alles, was dazu kam. Was sollte er auch groß auf 'Blackout' erwidern? Außer eventuell 'na scheiße', allerdings eher weil dieses kollektive Umkippen in ihrem Trupp langsam echt gruselig wurde. Vielleicht hatten sie sich ja alle irgendeinen Dschungelvirus eingefangen oder sowas. Irgendwas, von dem man zuerst verrückt wurde und dann langsam und qualvoll daran verreckte. Bei dem Gedanken vergaß Healy glatt seine Zigarette. So sterben hatte er nun nicht auf seiner Liste gehabt.
"Klingt logisch." Zurück in die Zivilisation also. Er nahm Dose und Öffner entgegen und rümpfte beim Anblick des Labels leicht die Nase. Ravioli. Erinnerte ihn schmerzlich an Landschulheim. "Aber schon irgendwie komisch, dass alle einfach so verschwinden. Normal ist das jedenfalls nicht."

[Dante Powell]

"M-hm", brummelte Dante, warf einen prüfenden Blick um sich herum und lehnte sich anschließend an einen nahen Baumstamm. Sah nicht aus, als wären da irgendwelche Viecher in der Nähe. Oder etwas anderes.
Im Prinzip war das Verschwinden ja gar nicht so unnormal. Der Junge hatte sich verpisst - völlig normal. Evans war diesem Trip nicht gewachsen gewesen, und kaum kehrte man ihr den Rücken zu und ließ sie einen Moment allein, bekam sie ein feuchtes Höschen und verflüchtigte sich. Auch völlig normal. Simon - na, der Junge hatte nicht mehr alle Murmeln in der Birne und war so fern von normal, dass es schon normal war, beschissenes Zeug zu tun. Blieb Santiago. Und selbst für dessen Verschwinden und das des stets schießbereiten Hobbyalkoholikers aus Irland hier hätte Dante logische Erklärungen gefunden - aber was war mit seinen eigenen Blackouts? Er kannte seinen Körper, verflucht! Er trainierte ihn seit Jahren, und er war immer zuverlässig gewesen, hatte nie einen an der Klatsche gehabt - also was, verfickt noch mal und zugedröhnt, war ihm selbst da passiert?
"Willst du sie jetzt suchen gehen, oder was?" Die Frage klang zwar zunächst etwas abfällig, aber sie war durchaus ernst gemeint. Nicht, weil sie je eine Chance gehabt hätten, jemanden zu zweit in diesem Moloch von Wald zu finden, aber schon deshalb, weil es Dante etwas über Healys Loyalität verraten könnte.

[Raphael Healy]

Evans interessierte ihn nicht wirklich und über Paynes Verschwinden war er mehr als froh. Diese Nullnummer sollte schön so weit weg bleiben wie möglich. Wobei es nicht leichter werden würde hier einzuschlafen, wenn er wusste dass Payne irgendwo im Dschungel unterwegs war. Vielleicht hatten sie ja Glück und seine blöden Raubkatzen würden ihn fressen. Zu zweit natürlich. Santiago allerdings... es war nicht so, dass er und Santiago beste Freunde gewesen wären, aber einfach so zu verschwinden, das traute Healy ihrem Boss irgendwie nicht zu. Es war nicht seine Art. Und genau das beunruhigte ihn irgendwie.
"Hältst du mich für bescheuert? Als ob wir irgendwen in dem Urwald finden." Etwas grummelig fischte er mit bloßen Fingern nach einer Ravioli. Ein Schlückchen Hochprozentiger wäre ihm grade lieber. "Aber was wenn Santiago sich auch so nen Blackout eingefangen hat? Vielleicht sollten wir 'n bisschen in diesem Dorf warten, bevor wir nach San Palabra zurückfahren." Nur für den Fall, dass ihr Chef doch noch auftauchte. Wenn nicht, konnten sie sich immer noch mit der ersten Anzahlung verpissen und nie wieder nach Narracion zurückkehren. Zumindest wäre das dann sein Plan.

[Dante Powell]

Tja, hätte er gefragt, hätte er ihm auch einen Löffel reichen können. "Toller Plan." Dante hob skeptisch die Brauen. Atempo, das war doch dieses Winz-Kaff... "Warum sollte Santiago ausgerechnet da aufschlagen? Und was willst du denen erzählen, was wir da machen - Angelurlaub?" Er hasste es ja, Offensichtliches aufzählen zu müssen. Sie waren ja nicht umsonst gleich in den Dschungel gejoggt, ohne irgendwo Zwischenstation zu machen. Zumindest Dante bevorzugte es, nicht in aller Auffälligkeit durch die Gegend zu spazieren und Dutzende Zeugen zu hinterlassen, die dann, wenn die Bullerei auftauchte, erklären konnten, wer wann wo was gemacht hatte. Dörfer waren für sowas großartig, und deshalb neigte Dante dazu, sie großräumig zu umgehen. San Palabra war ja schon nicht wirklich das blühende Leben, aber da kamen wenigstens ab und an mal ein paar Fremde lang. Ob das in Atempo auch so war, wagte Dante mal zu bezweifeln.

[Raphael Healy]

"Weil es das nächstbeste ist, was Zivilisation nahe kommt."
Einladend war es da nicht und auffällig definitiv, aber wenn man Durst und Hunger hatte und keinerlei Vorräte mehr - die schien Powell ja alle in seine Taschen geschaufelt zu haben - dann nahm man eben was man bekommen konnte. Zumindest Healy würde es so machen. Mit knurrendem Magen und Hangover erstmal nach San Palabra übersetzen? Nein, danke.
"Angelurlaub, Flitterwochen, Forscher, ist mir doch scheißegal." Und die Ravioli schmeckten auch scheiße. "Was juckt's mich was diese Hinterwäldler denken. Die werden schon nicht mit Fackeln und Heugabeln auf uns losgehen."
Sein Satellitentelefon knackte leise.
"Sag mal, hast du eigentlich schonmal versucht Santiago anzurufen?" Wo er es da so am Gürtel hängen sah. Außerdem erinnerte er sich dunkel an irgendwas von wegen GPS Peilung.

[Dante Powell]

"Nope. Aber sich deine Visage merken und bei den Bullen petzen, wenn die Fragen stellen, weil der Junge sich über seine Kidnapper beschwert. Aber ist ja deine Fresse." Dante zuckte mit den Achseln. Selbst wenn der Kleine keine 1a-Beschreibung von ihnen aufs Papier brachte - Fremde in kleinen Dörfern waren immer die ersten, die die Bullen am Arsch hatten. Schon aus Prinzip.
Er folgte Healys Blick zu dessen Telefon und zuckte mit den Achseln. "Kein Empfang." Was auch verflucht komisch war. Sie hatten das teure Zeug gekauft, damit es eben auch hier am Arsch der Welt funktionierte, inmitten dieser Bäume und all des Grünzeugs. Und wenn man es dann mal brauchte.. "Geht deins?"

[Raphael Healy]

Er verkniff sich ein trockenes "Mimi", obwohl ihm Powell grade wirklich vorkam wie ein Hasenfuß. Vor den Aussagen eines vollkommen isolierten Packs von Hinterwäldlern hatte er nun wirklich keinen Bammel. Selbst wenn sie sein Gesicht sehen würden.
Stattdessen rupfte er das Satellitentelefon von seinem Gürtel. Die GPS Ortung war ausgefallen. Natürlich. Sowas passierte ja immer in solch ungünstigen Momenten, wie im schlechten Horrorfilm. Er wählte Santiagos eingespeicherte Nummer und wartete, aber bis auf ein unangenehmes Piepsen, gefolgt von einem langen Rauschen kam da gar nichts.
"Nope, komplett tot." Na auf den Schreck erstmal noch ne Zigarette anzünden. Erfüllte den Zweck besser als diese Dosenravioli. "Suchen ist wahrscheinlich zwecklos, wahrscheinlich verlaufen wir uns nur noch mehr." Am Ende würden sie eh am Handelsposten landen, wenn Dante so einen Schiss vor einem winzigen Dörfchen hatte.

[Dante Powell]

Tja, war 'nen Versuch wert gewesen. Eigentlich hatten sie genug für die Dinge gezahlt, als dass die jetzt alle den Geist aufgaben! Ob ihnen da einer schlechte Ware angedreht hatte? Zumindest gefiele diese Erklärung Dante besser als die Möglichkeit, dass es nicht mit den rechten Dingen zuging. Auf die Schlechtigkeit der Menschen war doch immer Verlass.
"M-hm", machte er zustimmend. Hoffentlich blies Healy seinen Rauch nicht in seine Richtung! "Gehen wir nach San Palabra." So, wie er's ja eigentlich eh vorgehabt hätte. Soviel weiter als dieses Kaff konnte es auch nicht sein, aber da gab's Kneipen und Pensionen und Märkten - Orte, um Geld zu organisieren und es auch wieder loszuwerden. "Warten wir ne Woche. Hat er sich bis da nicht gemeldet, ist er weg." Also entweder tot, im Knast oder von einem eigenartigen Sinneswandel befallen ins Kloster gegangen. Oder so.

[Raphael Healy]

Das man ihnen schlechte Ware angedreht hatte bezweifelte er irgendwie. Santiago war ein alter Hase im Geschäft und passte für gewöhnlich auf wie ein Schießhund. Ihm kaputten Kram anzudrehen hielt Healy eigentlich für recht unmöglich, zumal weil sein Telefon vor ein paar Tagen ja noch einwandfrei funktioniert hatte. Wirklich einsehen, dass es hier nicht mit rechten Dingen zuging wollte er allerdings auch nicht und an Geistergeschichten glaubte er schonmal gar nicht.
"Fein, dann eben San Palabra."
Nicht an Geister glauben hin oder her, inzwischen war er wirklich nicht traurig drum, aus dem Dschungel rauszukommen.
"Kann man dir irgendwas abnehmen?" Vermutlich sollte er beleidigt sein, dass Powell für ihn nützlichen Kram von den anderen zusammengeklaubt und mitgenommen hatte, aber ganz ehrlich: er hätte es nicht anders gemacht.

[Dante Powell]

Dante zögerte nur kurz. Abgesehen davon, dass jeder Gramm, das er nicht selbst schleppen musste, seine Kräfte schonen würde, gehörte das Zeug ja irgendwie auch Healy. Daher zuckte er bereitwillig mit den Achseln und begann, das Gepäck zwischen ihnen aufzuteilen - solange Healy in der Lage war, es auch zu transportieren.
"Hätte mehr Munition mitgenommen, wenn ich gewusst hätte, dass ich dir hier noch mal über den Weg laufe", erklärte er angesichts der vielleicht etwas mauen Ausbeute. Die Nahrungsmittel, unter denen sich aber weder Alkohol noch Zigaretten befanden, würden schon noch für sie beide reichen, solange sie halbwegs gut durch den Dschungel kamen und der Kompass sie nicht so im Stich ließ wie die Hightech-Geräte. So schrecklich lange waren sie ja auch noch nicht im Dschungel. Bloß nachts könnte es etwas ungemütlich für Healy werden, denn seinen Schlafsack hatte Dante nicht vor zu teilen.